Als gestern Abend die Nachricht von Eric Rohmers Tod die Runde machte, erschien sein Name für eine ganze Weile in der Liste der Trending Topics bei Twitter - war also unter den meistdiskutierten Ereignissen in der neuen Internet-Echtzeit-Welt. Mein Twitter-Stream war für Stunden eine Trauerversammlung aus Seufzern, Bestürzung, Erinnerungen an Filme und Momente in Filmen Rohmers, dann Verweisen auf erste kurze Nachrufe in den Blogs.

Darauf folgte, als nächster Schritt der Trauerarbeit, eine komisch-geistreiche Phase. Kaum ein Text über Rohmer kommt ohne den Verweis auf den Dialogsatz aus Arthur Penns "Night Moves" aus, in dem Gene Hackman sagt, einen Rohmer-Film zu sehen sei, als sehe man der Farbe beim Trocknen zu. (In der Romanvorlage heißt es das, darauf wies Andrew Sarris einmal hin, übrigens über Chabrol.) Bei Twitter erlebt der Satz als #Nightmoves-Meme derzeit seine Anwendung auf weitere bedeutende Regisseure des Weltkinos: "Ich habe einmal einen Harun-Farocki-Film gesehen: Es war, als würde man jemandem bei der Zubereitung von Farbe zusehen." (Michael Sicinski)

Rohmer, der nicht nur der älteste der Regisseure der Nouvelle-Vague-Generation war, war auch der gelehrteste (ein Literaturwissenschaftler, der auch eine Studie über Mozart verfasste; in Jacques Rivettes "Out 1" hat er einen Auftritt als Literaturprofessor) und der konservativste. Ein Konservatismus, der vor keiner technischen Revolution zurückschreckte. Im Alter von achtzig Jahren drehte Rohmer sein erstes Digitalwerk, den zur Zeit der Französischen Revolution angesiedelten Historienfilm "Die Lady und der Herzog". Die historische Kulisse darin ist ein digitales Gemälde, der Trailer vermittelt von der atemberaubenden Künstlichkeit immerhin einen Eindruck:

Öffentliche Auftritte und Selbsterklärung hat Eric Rohmer - der eigentlich Maurice Schérer hieß - ehe gescheut. Umso wertvoller sind die Interviews, die es gibt. Hier ist eines aus dem Jahr 1977:


L'Anglaise et le Duc
von imineo


1977 Interview with Eric Rohmer from zenfoolio on Vimeo.

 

 

 

Auf einer DVD des US-Edel-Labels Criterion findet sich ein Gespräch, das der Regisseur Barbet Schroeder (Darsteller in Rohmers "Die Bäckerei von Monceau", Produzent vieler von Rohmers Filmen) im Jahr 2006 mit Rohmer geführt hat. Criterion hat einen Ausschnitt daraus auf der eigenen Website veröffentlicht, der sogleich auch auf Youtube erschien:



Auf der Website der Auteurs sammelt David Hudson Hinweise auf Reaktionen und Nachrufe aus aller Welt, nicht ausschließlich, aber doch vor allem in englischer Sprache. Die französische Zeitung Libération widmet Rohmer das Titelbild ihrer heutigen Sonderausgabe. In seinem Blog "Some Came Running" zitiert der Kritiker Glenn Kenny aus einem Brief den Rohmer an einen Kritiker schrieb. Er erklärt, als brillanter Filmkritiker, der er stets war, besser, als ein anderer es könnte, was seine Filme im Innersten ausmacht: "Meine Filme, sagen Sie, sind literarisch. Die Dinge, die ich sage, könne man auch in einem Roman sage. Ja, aber was heißt das? Das, was meine Figuren sagen, muss keineswegs das sein, was meine Filme sagen. Es gibt gewiss literarisches Material in meinen Geschichten, einen vorgezeichneten romanhaften Plot, der auch in einer literarischen Erzählung entfaltet werden könnte und der manchmal in Gestalt eines Kommentars entfaltet wird. Aber weder der Text dieser Kommentare noch der meiner Dialoge ist mein Film: Vielmehr handelt es sich dabei um Dinge, die ich filme, genauso wie Landschaften, Gesichter, Verhaltensweisen und Gesten. Und wenn Sie sagen, die menschliche Rede sei ein unreines Element, dann stimme ich ihnen nicht länger zu. Sie ist, wie die Bilder, Teil des Lebens im Film... Was ich tue: Ich zeige. Ich zeige Menschen, die sich bewegen, die sprechen. Das ist das einzige, wovon ich etwas verstehe, aber es ist mein wahrer Gegenstand. Der Rest, das stimmt, ist Literatur."

(Das wohl letzte Interview überhaupt erschien 2007 in der Zeitschrift "Les Inrockuptibles". Hier ist es, natürlich in französischer Sprache geführt.)