Eine brutale und paranoide Tour de Force durch Gewalt, Verbrechen und Politik.
***
Wien - Er schreibt. Er schreibt verdammt kurze Sätze. Er ist der Beste. Er ist der Härteste. Er ist der Hartgesottene. Russisches Roulette als Frühsport. Klick, klick, klick. Peng, peng, peng. Er ist der beste Krimischriftsteller der Welt.
James Ellroy sagt das nicht nur selbst. Weil er eine ziemlich hohe Meinung von sich hat. James Ellroy ist bekennender Egomane. Anfangs war er noch der konventionellen Hardboiled- und Noir-Literatur von Gründervätern wie Raymond Chandler oder Jim Thompson, Ross MacDonald und moderneren Pessimisten wie dem großen Charles Willeford verpflichtet. Romane wie Blut auf dem Mond oder die in Ich-Form geschriebene Serienkillernachtfahrt Stiller Schrecken zeugen davon. Mit ihnen zählte der ehemalige Junkie schon ab Mitte der 1980er-Jahre zu den Superstars der Kriminalliteratur.
Er triumphierte in ihr spätestens zwischen 1987 und 1992 mit der sogenannten Los-Angeles-Tetralogie, bestehend aus den Bänden Die schwarze Dahlie, Blutschatten, Stadt der Teufel und White Jazz. In diesen vier rabenschwarzen Romanen sprengte Ellroy die Grenzen der normalen Detektivstory mit in Amoklaufgeschwindigkeit ablaufenden Vermischungen von historischen Kriminalfällen mit jeder Menge Paranoia, Verschwörungstheorien, Blut, Verkommenheit und anderen Monströsitäten, mit denen man zartbesaitete Leser schon auf der ersten Seite verjagen kann.
Auch sprachlich erleben wir hier eine über hunderte Seiten vollzogene radikale Verknappung der eigenen Möglichkeiten. Sie vertraut über die Jahre immer noch unerbittlicher auf derben Slang, sämtliche bekannten politischen Unkorrektheiten, knappen (Polizei-)Protokollstil und auf eine zunehmend vom Adjektiv- Richtung Substantivstil rasende, von jedem poetischen Gedanken befreite Erzählstimme.
Die Unterwelt der USA
Peng, peng, peng. John F. Kennedy, Robert Kennedy, Dr. Martin Luther King. Neben der 1997 erschienenen Reise in die eigene schreckliche Familiengeschichte namens Die Rothaarige (im Original treffender: My dark places), in der Ellroy die bis heute nicht geklärten Umstände des Todes seiner Mutter zu umkreisen versucht, die grausam ermordet wurde, als er zehn Jahre alt war, beschäftigt er sich seither ausschließlich mit den großen Traumata des US-Gesellschaft.
Seine jetzt mit dem 800 Seiten starken Band Blut will fließen (Blood's a Rover) abgeschlossene Trilogie namens Underworld USA verhandelt Geschichte als Geschichte des Verbrechens. Von der Invasion in der Schweinebucht, den Morden an den Kennedys und Dr. King über den Vietnamkrieg - und damit verbunden den Rauschgifthandel - bis herauf zum korrupten Präsidenten Richard Nixon und der Watergate-Affäre 1972 bleibt wenig Raum für das Gute in der Welt.
Der rassistische Kommunistenfresser und fast 50 Jahre lang dem FBI vorstehende Edgar Hoover bastelt gemeinsam mit der Mafia und dem verrückten Milliardär Howard Hughes sowie rechts-religiösen Fundamentalisten, US-Neonazis und dem Ku-Klux-Klan an der großen amerikanischen Weltverschwörung. Er lässt liberale Präsidentenweicheier und politisch aktive "Neger" erschießen, fährt mit Polizei und Justiz Schlitten. Cops sind laut Ellroy in ihrer Freizeit grundsätzlich sexuell abartig veranlagt und Auftragskiller für die Mafia oder Edgar Hoover. Dieser zerstört wenn schon nicht immer Leben, so zumindest Karrieren und Seelen.
Keiner kommt hier lebend raus. Und wenn, dann mit literweise Blut am Stecken. Der 61-jährige Ellroy ist zwar nicht der einzige Autor, der sich mit dem Kennedy-Trauma und Verschwörungstheorien als Kern der US-Geschichte literarisch auseinandersetzt. Das taten auch schon Don DeLillo (7 Sekunden), Norman Mailer (Oswalds Geschichte) oder Philip Kerr (Der Tag X). Sein abstoßender wie faszinierender neuer Band Blut will fließen macht aber für die Zukunft verschwörungstechnisch am allerheftigsten von allen Versuchen gruseln. Was, wenn sich James Ellroy demnächst der Twin Towers in New York annimmt? Immerhin wurden diese ein Jahr nach Watergate, 1973, fertiggestellt. "Sie" sind hinter uns her. (Christian Schachinger, DER STANDARD/Printausgabe, 13.01.2010)