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Eric Rohmer, der sich zeit seines Lebens nicht gern fotografieren ließ, hier aufgenommen in Paris im Jahr 1981.

Foto: AP / Pierre Verdy

Zum Tod des Regisseurs und Autors Eric Rohmer.

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Paris - In Eric Rohmers Film Vier Abenteuer von Mirabelle und Reinette (1986) wettet eine der Titelheldinnen, dass sie am nächsten Tag kein Wort sprechen wird. Ihre Freundin hält lachend dagegen, das werde sie nie durchstehen. Was folgt, ist eine schöne Etüde in Sachen Kommunikation: als es nämlich zu einem "Gespräch" zwischen der hartnäckig Schweigenden und einem sehr von sich überzeugten Galeristen kommt, dem es kaum auffällt, dass er die Unterhaltung mehr oder weniger alleine bestreitet.

Die Episode kann man auch als selbstironischen Kommentar auf das Werk des französischen Regisseurs lesen. Das gesprochene Wort spielt in den Filmen von Eric Rohmer eine ganz wesentliche Rolle: als Medium zwischenmenschlicher Begegnung und Verfehlung, als elementare Ausdrucksform und insofern als Material des Kinos: "Wenn in einem amerikanischen Film jemand einen anderen nicht mag", sagte der Regisseur einmal, "dann versetzt er ihm einen Kinnhaken. In Frankreich, in Europa, tritt ein Wort an die Stelle. Deshalb ist der Kinnhaken aber nicht mehr Kino als ein Wort."

Eric Rohmer, 1920 als Maurice Schérer geboren, ist ursprünglich Lehrer. Er betreibt nebenbei einen Filmclub und beginnt über Filme zu schreiben. Zuerst arbeitet er bei der Revue du Cinéma mit Jacques Rivette, dann stößt er zum Kreis um die Cahiers du Cinéma, zu dem Francois Truffaut, Jean-Luc Godard oder Claude Chabrol gehören. Mit Letzterem verfasst Rohmer ein Buch über Hitchcock, den er zeit seines Lebens verehrt.

Kinogänger als Kinomacher

Rohmer wird somit auch einer jener jungen Cinephilen, die aus ihrer Praxis als Kinogänger und Kritiker den Wunsch nach einer Erneuerung des französischen Kinos generieren - und die Mittel dafür gleich noch dazu. Ende der 50er-Jahre stellen sie ihre ersten eigenen Arbeiten vor. Eric Rohmers Langfilmdebüt heißt Im Zeichen des Löwen (1959). Es folgt einem US-Musiker durchs sommerlich leergefegte Paris und teilt mit den Arbeiten der Weggefährten jene Lebendigkeit, die man etwa durch das Drehen in der Stadt (statt im Studio) erzielt.

In den 60er-Jahren eröffnet Rohmer, der bald als der "literarischste" Nouvelle-Vague-Autor gilt, mit Kurzfilmen seinen ersten Filmzyklus, die "Contes moraux" , moralische Märchen. Parallel fertigt er in dieser Zeit auch Auftragsarbeiten fürs Schulfernsehen. Auf den ersten Zyklus, zu dem unter anderem Die Sammlerin (1967) oder Meine Nacht bei Maud (1969) gehören, folgen zwei weitere: die "Komödien und Sprichwörter" (1981 bis 1986) und die "Vier Jahreszeiten" (1989 bis 1998) sowie einzelne Filme, insgesamt rund zwei Dutzend in fünf Jahrzehnten.

Die Sprach- und Konversationskunst, die sich in deren klarer Mise en scène, in langen Einstellungen entfaltet, wirkt nie prätentiös. Zum einen, weil Rohmer immer wieder kongeniale Akteure findet (Fabrice Luchini sei hier stellvertretend erwähnt). Aber auch, weil bei Rohmer das Flicken eines Fahrradschlauchs oder die Führung durch einen Gemüsegarten genauso sorgfältig besprochen werden wie abstraktere Vorgänge und Phänomene. Oder wie der Umgang mit den alltäglichen Dilemmata, um die seine "moralischen Erzählungen" , seine Liebes- und Eifersuchtstragikomödien immer wieder kreisen: Darf man Geheimnisse voreinander haben? Wo beginnt ein Betrug? Soll man einem Bettler etwas geben? Und wenn ja, wie viel?

Wie die einstigen Mitstreiter blieb Rohmer als Filmemacher aktiv. Noch sein vorvorletzter Film, L'anglaise et le duc (2001), war ein ambitioniertes Experiment mit Realfilm und virtuellen Räumen. Sein letzter sollte Les amours d'Astrée et de Céladon (2007) bleiben. Am Montag ist Rohmer 89-jährig in Paris gestorben. Der Kreis der Nouvelle-Vague-Veteranen ist damit jetzt um einen wichtigen Vertreter ärmer. (Isabella Reicher, DER STANDARD/Printausgabe, 13.01.2010)