"Ich lehre gerne. Meiner Meinung nach hat man ein Thema erst richtig verstanden, wenn man es anderen anschaulich erklären kann, damit die es auch verstehen können." Monika Henzinger, Informatikprofessorin an der Universität Wien.

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Klaus Taschwer sprach mit ihr über Top-Unis, Zugangsbeschränkungen für Studierende und ihre Lust an der Lehre.

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STANDARD: Sie haben nach dem Studium in Deutschland viele Jahre in den USA an Top-Unis und bei Unternehmen wie Google geforscht. Vor fünf Jahren sind Sie dann gemeinsam mit Ihrem Mann in die Schweiz an die renommierte ETH Lausanne (EPFL) gegangen. Wie groß war der Kulturschock, zurück in Europa zu sein?

Henzinger: Ich habe damals keinen Kulturschock erlebt. Ich habe mich vielmehr gefreut, wieder in Europa zu leben. Dazu kam, dass die EPFL einer US-amerikanischen Universität sehr ähnlich ist, sodass beruflich sowieso kein großer Unterschied war.

STANDARD: Worin sehen Sie die Hauptunterschiede zwischen US-amerikanischen und "normalen" europäischen Universitäten?

Henzinger: Grundsätzlich darf man nicht vergessen, dass es innerhalb der US-amerikanischen Universitäten riesige Unterschiede gibt. Daher muss man immer genau spezifizieren, welche Unis man zum Vergleich heranzieht. Wenn hier von US-Unis gesprochen wird, meint man meist die Top-20-Universitäten. Forschung und Ausbildung dort sind exzellent. An den restlichen Universitäten sieht es aber weniger rosig aus - zumindest bei der Forschung. Das ist für die Studenten aber nicht nur ein Nachteil.

STANDARD: Warum nicht?

Henzinger: Neben den Top-20-Unis gibt es in den USA natürlich eine Hierarchie von anderen mehr oder weniger guten Universitäten und Hochschulen. Wenn ein Student es nicht in die Top 20 schafft, kann er sein Fach immer noch an einer dieser Universitäten studieren, die unterschiedlich praxisorientiert sind. Das ist vor allem für nicht forschungsorientierte Studenten sehr gut. Hier hingegen gibt es nur die Möglichkeit, entweder an einer Universität oder an einer Fachhochschule zu studieren - aber nichts dazwischen.

STANDARD: Wenn man die US-Top- 20 nimmt: Was sind denn die größten Unterschiede zu den Universitäten hierzulande?

Henzinger: Die Hauptunterschiede bezüglich der Studenten sind wohl, dass diese Universitäten in den USA selbst auswählen können, welche der Bewerber dort aufgenommen werden. Zudem vergeben sie viele Stipendien an Studenten, weshalb nur wenige Studenten während des Studiums arbeiten - außer kleineren Jobs auf dem Campus. Professoren müssen dort eine geringere Anzahl von Vorlesungen abhalten als hier. Allerdings verwenden sie viel Zeit auf die Vorbereitung ihrer Vorlesung und die Betreuung der Studenten, sodass die Lehre dort besser ist.

STANDARD: Bessere Lehre forderten auch die Studierenden bei ihren Protesten, dazu keine Zugangsbeschränkungen und keine Studiengebühren. Geht das alles unter einen Hut?

Henzinger: Meiner Meinung nach nicht. Wenn man gute Unis mit guter Forschung will, kann man nicht Vorlesungen mit 1000 Studenten geben, von denen dann 500 den Abschluss schaffen. Es ist einfach nicht jeder geeignet, das Fach an der Universität zu studieren, das er gerne studieren würde. Ich wäre auch gerne Astronautin geworden, aber mit meiner Brille war ich dafür nicht geeignet. Wenn die Universitäten die Studenten basierend auf ihrer Leistung auswählen, dann tun sie auch den Studenten etwas Gutes.

STANDARD: Wie meinen Sie das?

Henzinger: Zum einen verschwenden die ungeeigneten Studenten nicht einige Jahre ihres Lebens mit einem Studium, das sie dann abbrechen. Es profitieren aber zum anderen natürlich auch die guten Studenten, denn sie werden in kleineren Vorlesungen sitzen und eine bessere Betreuung bekommen. Das derzeitige System, wo jeder alles studieren kann, aber bei weitem nicht alle den Abschluss schaffen, ist die teuerste Art der Selektierung.

STANDARD: Kommen wir zurück zur ETH Lausanne, die mit der ETH Zürich in allen Rankings zu den besten europäischen Unis zählt. Was macht man dort anders?

Henzinger: Die EPFL ist mittlerweile einer US-amerikanischen Top-20-Universität sehr ähnlich, in manchen Punkten sogar überlegen, denn jeder Professor bekommt eine gewisse Anzahl von Mitarbeiterstellen zur Lehrstuhlausstattung. Und es gibt keine Studiengebühren. Die geringe Lehrverpflichtung und die Mitarbeiterstellen sind dank der guten finanziellen Ausstattung der ETH und der EPFL möglich. Allerdings glaube ich, dass der Hauptunterschied eine ausschließlich leistungsbezogene und sehr selektive Auswahl der neuen Professoren ist.

STANDARD: Wie funktioniert die?

Henzinger: Man schreibt keine themenbezogenen Professuren aus, sondern lädt jedes Jahr im Frühjahr, wenn auch die US-amerikanischen Universitäten die neuen Professoren auswählen, die weltweit besten Bewerber ein und bietet dann den besten eine Stelle an. Wenn keiner von denen annimmt, stellt man lieber keinen ein und wartet auf das nächste Jahr. Mit dieser Strategie war die EPFL in den letzten fünf bis zehn Jahr sehr erfolgreich.

STANDARD: Nicht nur die EPFL will die besten Köpfe verpflichten, sondern im Grunde alle Top-Unis weltweit. Was sind die wichtigsten Standortargumente für Spitzenforscher?

Henzinger: Spitzenforscher arbeiten ständig daran, an der Spitze zu bleiben, und sehr hilfreich dafür ist es, Spitzenforscher als Kollegen zu haben und exzellente Studenten zu haben. Daher sind die Top-Universitäten in den USA so attraktiv für Top-Forscher. Meiner Meinung nach hat Österreich daher mit der Einrichtung des IST Austria den richtigen Weg gewählt.

STANDARD: Ihre Professur an der Universität Wien lautet auf "Theorie und Anwendung von Algorithmen". Woran forschen Sie gerade?

Henzinger: Ich arbeite zurzeit an einem relativ neuen Forschungsgebiet, das an den Schnittpunkten zwischen der Volkswirtschaftslehre, der Spieltheorie und der Informatik liegt. Es geht darum, die Eigenschaften von Internetauktionen besser zu verstehen und Strategien für die Bieter zu entwickeln.

STANDARD: Auktionen wie Ebay?

Henzinger: Nicht wirklich. Eigentlich analysieren wir, wie Online-Werbesysteme wie Google oder Yahoo am besten entscheiden, welche Reklame Ihnen etwa bei Google-Suchabfragen gezeigt werden oder wenn Sie sich bei einer Seite wie derStandard.at anmelden.

STANDARD: Was ist daran so kompliziert, dass es dafür Top-Informatik braucht?

Henzinger: Bei jeder Suchabfrage läuft im Hintergrund eine Auktion ab, bei der Werbeanbieter gegeneinander antreten. Da werden dann meist die besten acht gezeigt. Bei der Auswahl geht es dann nicht nur um inhaltliche Kriterien, sondern auch um den Preis für die Reklame - und da wird es kompliziert.

STANDARD: Wieso?

Henzinger: Wenn man genau das verlangt, was die Bieter offeriert haben, dann wird das System bei diesen Abertausenden von Auktionen instabil. Deshalb wird zum Beispiel vom Höchstbieter der Preis des zweiten verlangt, vom zweiten der vom dritten und so weiter. Wir analysieren, ob das die beste Art ist, Preise zu berechnen, oder ob man nicht zum Beispiel auch die Anklickwahrscheinlichkeit mitberücksichtigen sollte. Die Suchmaschinen kriegen ja nur Geld, wenn die Werbung auch angeklickt wird.

STANDARD: Das klingt sehr anwendungsnahe.

Henzinger: Ist es auch. In den Online-Werbemarkt fließen mittlerweile 50 Milliarden Dollar. Unser Ziel ist es aber natürlich, darüber in wissenschaftlichen Fachzeitschriften zu publizieren.

STANDARD: Während Sie bei Google vermutlich nur forschten, gibt es an den Unis auch Lehrverpflichtungen. Viele Forscher empfinden die als Bürde. Wie ist das bei Ihnen?

Henzinger: Ich lehre gerne. Meiner Meinung nach hat man ein Thema erst richtig verstanden, wenn man es anderen anschaulich erklären kann, damit die es auch verstehen können. Daher gebe ich gerne Vorlesungen über neue Forschungsgebiete. Dann lerne ich nämlich selbst sehr viel bei der Vorbereitung der Vorlesungen.

STANDARD: Müssten Sie Ihren Nachwuchsforschern einen Tipp geben, wie würde der lauten?

Henzinger: In der Informatik - und sicher auch in anderen Fächern - ist die eigene Ausbildung nie abgeschlossen. Man muss ständig dazulernen. (DER STANDARD, Printausgabe, 13.01.2010)