Wien - Fast jeden dritten Tag begeht ein Gefängnisinsasse in Frankreich Selbstmord. Gefängniswärter versuchten bereits im Sommer 2009 mit wütenden Protestaktionen auf die desaströsen Zustände in den völlig überfüllten Gefängnissen in Frankreich aufmerksam zu machen. Menschenunwürdige hygienische Bedingungen, eine gewalttätige Atmosphäre unter den Insassen und zu wenig Personal für die Betreuung und Reintegration der Inhaftierten sind an der Tagesordnung. Ein erster Schritt zur Verbesserung war die Verabschiedung eines neuen Gesetzes, das den Einsatz von Fußfesseln erweitert und die Gefängnisse entlasten soll.

Nun hat sich der französische Justizstaatssekretär Jean-Marie Bockel auf eine Reise nach Österreich begeben, um sich über das heimische Modell des gelockerten Vollzugssystems und die Methode "Gefängnis ohne Gitter" zu informieren. Bei den Rundgängen durch die Justizvollzugsanstalten in Münchendorf und Wien-Simmering lobte er die funktionierende Selbstständigkeit der Insassen.

"Wir experimentieren in Frankreich bereits mit dem offenen Vollzug. In Österreich gibt es jedoch viel mehr Möglichkeiten, mehr Flexibilität, und das System ist moderner", so Bockel. "Dass am Tag gearbeitet wird und nur nachts geschlossener Vollzug besteht, ist durchaus etwas, das wir übernehmen können", sagte er inspiriert und biss in einen Krapfen, den die Insassen in der Gefängnisbäckerei eigens für seinen Besuch gebacken hatten. (Julia Herrnböck, DER STANDARD Printausgabe, 13.01.2010)