Jetzt ist ihnen doch der Schiach angegangen, unserer Regierungskoalition (um im Jargon der allgemeinen Vervolkstümelung zu bleiben) und sie versuchen, in der Asylerstaufnahmezentrumsanwesenheitspflichtsdebatte den tödlichen Koalitionsstreit wieder einzufangen.

Die Innenministerin aus der Welt der oberösterreichischen Erbhof-Vierkantschädeln und der Verteidigungsminister aus dem burgenländisch-kroatischen Pendlermilieu sollen auf Geheiß ihrer Parteichefs den verheerenden Eindruck wieder beseitigen, dass diese Regierung in der wichtigsten Frage der Republik inhaltlich am Ende ist.

Ja, die "Asylanten"-Zuwanderer-"Ausländer"-Frage ist die wichtigste des Landes. Weil sie einerseits die politische Kultur für die nächsten 20 Jahre bestimmen und darüber entscheiden wird, ob wir in einem Klima triumphierender Rechtsextremisten leben werden; und weil sie andererseits auch die wirtschaftliche Zukunft mitentscheiden wird. Wenn wir weiter erlauben, dass 20 bis 25 Prozent der jüngeren Menschen ein Dasein als schlecht ausgebildete, der einfachsten Kulturtechniken kaum fähige Unterschicht mit "Migrationshintergrund" führen, dann werden wir schlicht und einfach abgehängt.

Die Regierungen der letzten 20 Jahre haben es fertiggebracht, die Tatsache, dass Österreich ein Einwanderungsland wurde, zu verdrängen. Sie haben auf den Zustrom - sei es Asylanten, sei es legale Zuwanderer - mit Realitätsverweigerung reagiert. Und mit allmählichem, dann immer schnelleren Nachgeben gegenüber den Hassparole der Haider/Strache-Rechtsextremen und der einschlägigen Medien, vor allem der Krone.

Sie waren mit einem Epochenwechsel konfrontiert und haben auf die uralten Rezepte des österreichischen Untertanengeistes zurückgegriffen: strengere Gesetze, bürokratische Schikanen, Repression. "Einspirrn" ist alles, was Frau Fekter einfällt. Aber schlimmer, viel schlimmer noch: Sie sind hilflos. Sie ahnen, dass sie mit der Realität - ein Drittel der Wiener Bevölkerung hat "Migrationshintergrund" - nicht fertig werden; aber sie versuchen keinen grundlegenden Neuanfang.

Die Wahrheit ist: in den letzten 30 Jahren wurden billige Arbeitskräfte aus archaischen Gesellschaften hergeholt und sich selbst überlassen. Das ist jetzt so und man muss das managen - besser als vor 100 Jahren, als die jüdische und slawische Zuwanderung nach Wien mörderische Folgen hatte.

Es ist auch zu schaffen, wenn man die Aufgabenstellung erkennt und nicht verdrängt, wie es mit wenigen Ausnahmen bisher offizielle Politik war. Die Politik müsste nur aufhören, den Verhetzern nachzugeben, sie müsste alle Energien investieren, um die neue Situation zu erklären. Die Zuwanderung kann nicht mehr rückgängig gemacht werden, wer das behauptet, ist ein Idiot oder Verbrecher. Asyl ist zu managen, z. B. in vielen kleineren Zentren. Der Politiker/die Politikerin, die Partei, die sich des Thema offensiv, nicht defensiv, humanitär, aber ohne falsche Illusionen, realistisch, aber nicht zynisch annimmt, die werden die Zukunft bestimmen. (Hans Rauscher, DER STANDARD Printausgabe, 13.01.2010)