Handyshop in Sumbawanga, Tansania: Hier werden Rubbelkarten für Prepaid-Konten feilgeboten sowie Handys verkauft und gegen Gebühr vermietet oder ihre Akkus geladen.

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Mit ausgiebiger Betätigung des Schiffshorns begrüßte um Mitternacht der Kapitän der MS Liemba auf dem Tanganjikasee das neue Jahr. Am Schiffsbug leuchteten bengalische Feuer, während am Vorderdeck glühende Handydisplays zahlreicher Passagiere von Glückwunschbotschaften per SMS oder kurzen Anrufen zeugten, ganz so wie das auch im fernen Europa zu Silvester üblich ist.

Rund 90 Jahre lang war die von der Meyer Werft im niedersächsischen Papenburg gebaute und in 5000 Kisten nach Tansania verfrachtete "Graf Goetzen", die nach dem ersten Weltkrieg als MS Liemba (Swahili für Tanganjikasee) von den Briten wieder in Dienst genommen wurde, die einzige Infrastruktur für Dutzende Fischerdörfer und hunderttausende Menschen entlang des Sees. Nicht einmal Schotterpisten, während der Regenzeit ohnehin monatelang unpassierbar, erreichen diese Orte. Aber seit einigen Jahren haben sie neben Fischerbooten, Barkassen und Liemba einen neuen "Draht" zur Welt: das Handy.

Rasante Ausbreitung

Mit rasantem Tempo hat sich in den vergangenen Jahren in ganz Afrika Mobilfunk ausgebreitet und Lebensgewohnheiten einschneidend verändert. Am See bewerben Bootsbesitzer ihre Dienste als Taxi oder Frachtboot mit großen Telefonnummernschildern: Jeder, der per Handy erreichbar ist, hat einen unschätzbaren Vorteil gegenüber Konkurrenten ohne Mobilfunk. Fischer können durch Anrufe bei Händlern oder benachbarten Märkten nachfragen, ob ihr Fang gefragt ist - früher legten sie oft Tagesfahrten zurück, nur um dort angekommen auf ihrer Ware sitzen zu bleiben. Nach einer Autopanne bei der Safari konnte Mr. West, Guide im Katavi Nationalpark, per Handy sein Camp verständigen und ein anders Auto herbeiholen - auch wenn er auf einen Baum klettern musste, um Empfang herzustellen.

Die Logos, Poster und Werbungen der Mobilfunkbetreiber - Vodacom, Zain, Tigo, Zantel und Hits Tanzania - prangen auf zahlreichen Hütten in den Dörfern entlang der Schotterpisten des Landes: Der Verkauf von Prepaid-Karten und der Verleih von Handys ist für viele Menschen zu einer neuen Einkommensquelle geworden, ebenso wie der Betrieb eines Dieselaggregats, um in Dörfern ohne Stromversorgung Akkuladen zu verkaufen.

Um 40 Cent verbunden

Bezahlt wird in unvorstellbar kleinen Summen: Schon um 500 tansanische Schilling, weniger als 40 Cent, gibt es Prepaid-Rubbelkarten, die gerade für eine Minute oder ein paar SMS reichen. Viele Handybenutzer decken ihren Tagesbedarf je nach laufendem Verdienst in mehrere Tranchen über den Tag verteilt. Darum zählt auch jede Sekunde: Die tansanischen Netze takten nach Sekunden und nicht nach halben oder ganzen Minuten wie in Österreich. Um die Auslastung besser zu verteilen, haben Betreiber wie Vodacom dynamische Preise entwickelt, die jede Stunde an das Nutzungsvolumen angepasst werden. Per Handy können Kunden den aktuellen Preis checken und so zu billigen Zeiten telefonieren.

SMS ist in jeder Hinsicht zur Währung geworden: Sie übermitteln Nachrichten und Wetterinfos, Spitäler erinnern damit Patienten an die Einnahme von Medikamenten und die Codes der Rubbelkarten werden als informelle Währung weiterversandt. Seit vergangenem Jahr werden mobile Zahlungssysteme per SMS angeboten, mit denen Güter des täglichen Lebens oder Rechnungen bezahlt werden können - ein großer Schritt für viele Menschen, die noch nie eine Bank gesehen haben oder gar ein Bankkonto besitzen.

Verpflichtende Registrierung

Dabei gibt es derzeit ein Hindernis zu überwinden: Aus Sicherheitsgründen wurden die Besitzer von Handy-Sim-Karten von der Regierung dazu verpflichtet, sich registrieren zu lassen. Bis Jahresende haben sich jedoch erst rund die Hälfte der geschätzt 15 Millionen Handykonten eintragen lassen, der Registrierungstermin wurde daraufhin bis Mitte 2010 gestreckt. Persönliche Identifizierung ist auch für manche Funktionen mobiler Zahlsysteme unverzichtbar, insbesondere wenn das Geld von einem Handyguthaben wieder real ausgezahlt werden soll. Bisher gibt es jedoch in Tansania keine staatlichen Personalausweise.

In den vergangenen acht Jahren wuchs die Zahl der Handykonten im Land von 300.000 auf rund 15 Millionen, was einer Verbreitung von 37 Prozent der Bevölkerung entspricht. Tansania ist nach Berechnung der Internationalen Telekommunikations Union (ITU) inzwischen das viertgrößte Handyland Afrikas, nach Nigeria, Südafrika und Kenia, wo es 17,4 Mio. Leitungen gibt, für rund 45 Prozent der Bevölkerung. 246 Mio. Anschlüsse verzeichnete Afrika Ende 2009, innerhalb der vergangenen sechs Jahre eine Steigerung der Verbreitung von fünf auf über 30 Prozent. Mit einer Wachstumsrate von fast hundert Prozent verzeichnet Afrika nach Indien (125 Prozent) das größte Handy-Wachstum der Welt, noch vor China. Diese Entwicklung übersetzt sich nahtlos in wirtschaftliche Vorteile: Mit jedem Wachstum der Mobilfunkverbreitung um zehn Prozentpunkte nimmt das BIP-Wachstum von Entwicklungsländern laut Weltbank zusätzlich um 0,8 Prozent zu.

Autonome Sendestationen

Dementsprechend sieht man auf einer Reise durch das Land in regelmäßigen Abständen die hohen rotweißen Handymasten, die meist in Paaren auftreten. Anders als in industrialisierten Ländern, in denen die Basisstationen sowohl an Strom- als auch Datennetz per Leitungen angeschlossen sind, laufen die Sendestationen autonom: Strom kommt meist von einem Dieselaggregat, das durch einen eigenen Tank für mehrere Wochen versorgt ist; für die Verbindung zwischen den Masten sorgt Richtfunk statt Kabel. Selten vergehen mehr als ein, zwei Stunden auf der Piste oder auf dem Schiff am See ohne Empfang.

Und schon jetzt ist absehbar, dass sich mit der nächsten Handy-Generation auch Internet weiter verbreiten wird: Die Mobilfunker bieten auch Datennetze und in Daressalaam und bei der Mittelschicht sind Blackberrys und andere Smartphones bereits das jüngste Statussymbol. (Helmut Spudich aus Kigoma/ DER STANDARD Printausgabe, 13. Jänner 2010)