derStandard.at: Nur ein Sechstel der europäischen Bevölkerung bezeichnet sich selbst als beruflich mobil. Wird Mobilität im Job wichtiger werden?
Brühl: In Zukunft werden mehr Menschen als heute ihr Leben in mehreren Städten und sogar mehreren Ländern verbringen. Mobilität wird immer wichtiger: Internationale Erfahrung, Verständnis für andere Kulturen und Inspiration durch anderes Denken sind in der globalisierten Welt unumgänglich. Das wird besonders in der Ausbildung eine große Rolle spielen, aber auch später im Berufsleben. Alle für den Beruf relevante Erfahrungen an einem Ort machen zu können, wird immer seltener werden. Doch es ist nicht nur der Druck am Arbeitsmarkt, der mehr Mobilität bewirkt. Immer mehr junge Menschen haben auch von sich aus den Drang ihren Horizont über die Grenzen hinweg zu erweitern.
derStandard.at: Die Grenze zwischen Arbeit und Privatleben fällt immer mehr. Wie wird sich künftig eine Work-Life-Balance realisieren lassen?
Brühl: Das stimmt, die Grenze zwischen Beruf und Privatleben verschwimmt immer mehr. Das ist natürlich auch auf den Druck in den Unternehmen bei gleichzeitiger Flexibilisierung von Arbeitszeiten zurückzuführen. Auf Seiten der Arbeitnehmer verlangt es ein hohes Maß an Eigenverantwortung; sie müssen aktiv Ruhezeiten gestalten, denn der geregelte Achtstundenjob wird an immer weniger Stellen existieren.
derStandard.at: Einerseits kommt der Druck zu Flexibilität von den Unternehmen, andererseits gibt es noch immer diese Art von Anwesenheitsmythos. Müssen da nicht auch die Führungskräfte lernen umzudenken, dass sie Flexibilität nicht nur einfordern, sondern auch gewähren?
Brühl: Auf alle Fälle. Ein bekanntes Beispiel ist die Firma Best Buy in den USA, wo man sich vollkommen von der Anwesenheitspflicht verabschiedet hat und nur ergebnisorientiert arbeitet. Selbst in ganz traditionellen Arbeitsstrukturen der Lohnarbeit kann man sich also aus den engen Zwängen von Zeit und Ort befreien. Für eine solche neue Unternehmenskultur muss man allerdings erst einmal Vertrauen aufbauen - mit dem alten hierarchischen Kontrollsystem wird man da nicht weit kommen.
Und das braucht Zeit. Man muss erst einmal die Erfahrung machen, dass Arbeiten nicht unbedingt heißen muss, zusammen acht Stunden in einem Raum zu sitzen.
derStandard.at: Wissensaustausch zwischen Jung und Alt und generationsübergreifendes Zusammenarbeiten - welchen Stellenwert hat das in der Zukunft?
Brühl: Der Wissensaustausch ist extrem wichtig, ob er gelingt, ist oft eine Kulturfrage. Es wird mehrere „Generationen" von Arbeitnehmern in den Firmen geben: die Älteren, die 9 to 5 Jobs gewöhnt sind und die jungen, eher frei und flexibel Arbeitenden. Hier gilt es einen Dialog zu initiieren und die Verschiedenheiten in der Arbeitskultur erst einmal transparent zu machen, um sie dann schrittweise zu integrieren. Nur Unternehmen, denen das gelingt, werden in Zukunft erfolgreich sein können. Sonst kommt es zu einem inneren Split in der Kultur und damit ist sehr schwer zu arbeiten.
derStandard.at: Besteht Hoffnung, dass Frauen künftig nicht mehr Jahr für Jahr aufgrund der Gehaltsschere monatelang kostenlos arbeiten werden?
Brühl: In den westlichen Ländern wird der Bedarf an Talenten weiter steigen - allein aufgrund der demografischen Verknappung von Arbeitnehmern. Junge gut ausgebildete Frauen werden mehr denn je gesucht sein. Das heißt die Umstände für eine Aufwertung weiblicher Erwerbsarbeit sind nicht schlecht, aber sowohl in der Kultur vieler Organisationen muss sich etwas ändern als auch bei den Frauen selbst. Wenn Frauen mehr Macht wollen, dann müssen sie sich auch nehmen.
Auch die Kinderbetreuung wird angesichts des ökonomischen Interesses von Unternehmen bessern: Es gibt schon heute viele Beispiele, dass Firmen nicht nur selbst intern Kinderbetreuung anbieten, sondern auch Dienstleister dafür anheuern. Auch ganze Regionen kümmern sich um eine verbesserte Infrastruktur für Arbeitnehmer mit Familien, um attraktiver zu werden.
derStandard.at: Wie werden sich Unternehmen in Zukunft vernetzen?
Brühl: Vernetzung ist sowohl innerhalb der Branchen als auch über die Branchen hinweg wichtig. Für einen fruchtbaren Austausch ist natürlich eine Haltung von Ehrlichkeit und Offenheit wichtig. Wem das gelingt, der hat ein gutes Investment in die Zukunft gemacht. Denn im Dialog ergeben sich neue Impulse, die vor allem vor dem Hintergrund wichtig sind, dass sich die Märkte immer mehr überschneiden.
derStandard.at: Sie haben sich mit Kreativität als Wirtschaftsfaktor auseinander gesetzt - was bedeutet Kreativität in der Zukunft?
Brühl: Kreativität heißt das Beste aus allen Welten zu verbinden. Und: Kreativität wird in Zukunft mehr und mehr Kreativität von vielen sein, es ist nicht mehr die einzelne kreative Leistung, die so wichtig ist. Es geht darum sogenannte "soziale Gehirne" zu bauen - Menschen die Möglichkeit zu geben, sich untereinander so zu vernetzen, dass sie gemeinsam eine neue Ebene von Kreativität erreichen und neue Lösungsmuster entdecken. Auch Unternehmen laden ihre Lieferanten und Kunden ein gemeinsam mit ihnen zu forschen, zu entwickeln.
derStandard.at: Wie definieren Sie die Arbeit der Zukunft?
Brühl: Arbeit ist alles das, was man zielgerichtet tut, um in der Welt etwas zu bewirken. Das ist eine weite Definition, denn wir sollten Arbeit in Zukunft weiter gefasst sehen als die klassische Lohnarbeit in der Anstellung. Projektarbeit, Familienarbeit und Arbeit fürs große Ganze z.B. in NGOs oder Vereinen gehört ebenso dazu wie "Herzensarbeit". Beispiele hierfür sind der Chirurg, der komponiert oder die PR-Angestellte, die sich um eine Schule in Indien kümmert. Immer mehr Leute arbeiten neben der eigentlichen Lohnarbeit, um sich selbst ein Stück weit zu verwirklichen. Und das meist ohne Bezahlung. Die Idee, dass eine Arbeitsstelle alles liefert - Einkommen, Selbstverwirklichung, Spaß, Kontakte - lässt sich nur selten realisieren.
derStandard.at: Wie könnte ein Lebenslauf künftig aussehen?
Brühl: Viele Lebensläufe werden sehr fragmentiert sein. Es wird üblich werden, in verschiedenen Branchen und Funktionen gearbeitet zu haben. Wichtig ist aber dennoch der rote Faden. Man muss einen Zusammenhang herstellen können, eine gute stringente Geschichte erzählen, warum man was gemacht hat. Dies sollte eine Entwicklung demonstrieren, auch wenn es kein linearer Aufstieg 'die Karriereleiter hinauf' mehr sein muss. Statt glatter Karrieren werden künftig mehr „gute Typen" gefragt sein, die Flexibilität und Originalität beweisen. (derStandard.at, 14.1.2010)