Selten, wenn überhaupt wurde in der letzten Zeit so viel Positives und Freundliches über einen Politiker geschrieben, wie über den zum neuen Präsidenten Kroatiens gewählten Professor Ivo Josipović: er sei ein feinsinniger Intellektueller mit absolut weißer Weste; angesehener Völkerrechtler und begabter Komponist in einer Person; ein entschlossener Kämpfer gegen die Korruption und das organisierte Verbrechen. Den überraschend eindeutigen Erfolg (über 60 Prozent der Stimmen) bei der Stichwahl gegen den von der katholischen Kirche, den Auslandskroaten und den rechtskonservativen Nationalisten unterstützten, allerdings selbst in Skandale verstrickten und aus der sozialdemokratischen Partei ausgeschlossenen Zagreber Bürgermeister Milan Bandić, hat der scheidende Präsident Stipe Mesić zu Recht als "einen Sieg für Europa" bezeichnet.

Die Exekutivmacht liegt allerdings in erster Linie seit den gesetzlichen Änderungen nach dem Tod des umstrittenen, Staatschefs Kroatiens bei dem jeweiligen Ministerpräsidenten. Der neue Präsident muss deshalb mit Ministerpräsidentin Jadranka Kosor zusammenarbeiten, die erst im Juli 2009 nach dem überraschenden Rückritt des langjährigen Ministerpräsidenten Ivo Sanader zur Nachfolgerin und einige Tage vorher auch zur Chefin der rechts von der Mitte stehenden größten politischen Partei, der HDZ gewählt wurde.

Die Zukunft Kroatiens und auch das Schicksal seines ins Stocken geratenen EU-Beitrittsersuchens hängt von der Zusammenarbeit des sozialdemokratischen Präsidenten und der HDZ-Chefin und Ministerpräsidentin Kosor ab. Die Wahlgänge wurden von dem möglicherweise mit dem Hypo-Alpe-Adria-Bankenskandal zusammenhängenden Auftritt des im Juli 2009 völlig überraschend zurückgetretenen Sanader überschattet.

Das katastrophale Abschneiden des HDZ-Kandidaten Andrija Hebrang nahm Sanader als Vorwand, seinen Schützling Kosor frontal anzugreifen. Die populäre ehemalige Journalistin bewies freilich ihren Machtinstinkt, indem sie ihren Vorgänger und politischen Ziehvater sofort aus der Partei werfen ließ.

Politisch und menschlich hat der mit Österreich und mit der ÖVP seit seinem Studium in Innsbruck eng verbundene Sanader seine Freunde und nicht wenige Bewunderer durch seine Haltung, vor allem was die überfällige Trockenlegung des Korruptionssumpfes und die Vetternwirtschaft betrifft, immer mehr enttäuscht. Eine Analyse des britisch-kroatischen Publizisten Chris Cviić (in der Europäischen Rundschau 2009/3) enthüllte vor einiger Zeit bereits die innenpolitischen und innerparteilichen Machtkämpfe im Hintergrund des scheinbar rätselhaften Abgangs Sanaders. Sein dramatischer und gescheiterter Versuch, das Ruder herumzuwerfen, trug letzten Endes zur Stärkung der von ihm offenbar unterschätzten Nachfolgerin bei.

Wenn der neue Präsident und die Regierungschefin bei der Öffnung nach Europa und beim Kampf gegen die wuchernde Korruption bis zu den im nächsten Jahr fälligen Parlamentswahlen eine "Achse der Vernunft" bilden können, dann müsste die EU diese Wende in Zagreb mit allen Mitteln unterstützen. (Paul Lendvai/DER STANDARD, Printausgabe, 14.1.2010)