Wien - 12. Oktober 1492: Ein schmaler Streifen Wasser trennt Kolumbus noch von dem, was er für Indien hält und was doch eine - die - "Neue Welt" ist. Dieser Streifen muss im Ruderboot überquert werden. Es ist der schmale Grat zwischen dem radikal Neuen und der morschen, verdorbenen "Alten Welt", als deren Repräsentanten Kolumbus (Andreas Patton) und seine Begleiter, je ein Vertreter der geistlichen und der weltlichen Macht (kongenial: Erwin Leder und Markus Kofler), sich verstehen. "Der Weltintendant - Eine Übersetzung", der unter der Regie Hubsi Kramars im 3raum-anatomietheater zur Uraufführung kam, ist die Geschichte dieser ultimativen Grenzüberschreitung, der "Übersetzung" im Ruderboot zu den unberührt gedachten Stränden der Utopie.
Der in Graz lebende Autor des Stücks, Joachim J. Vötter, zeichnet Kolumbus als radikalen Visionär, der mit wahnhafter Vehemenz seine Rolle als "Weltrepräsentant einer Weltleiche" gegen die eines "Weltintendanten des irdischen Paradieses" eintauschen möchte.
Der sehr dicht geknüpfte Text reichert sich immer neu mit Bedeutungen an. Er schickt den Protagonisten in den Irrsinn und wieder zurück - in die festgefügte Unverrückbarkeit der Normalität, deren behauptete Nähe zu Idiotie und Verbrechen durch vier Ruderer an Bord verkörpert wird.
Knapp zwei Stunden sitzen der genialische Grenzgänger, die Verfechter handfester politischer Interessen und der "Pöbel" gemeinsam in einem Boot, auf dem "Meer der Geschichte" hin- und herschaukelnd: eine aberwitzige Generalprobe für ihren historischen Auftritt auf der Weltbühne.
Spätestens wenn sich alle, ohne Unterschied von Rang und Ansehen, des Kaisers neue Kleider anlegen, wird klar: Regisseur und Autor verfolgen das ambitionierte Ziel, die Welt als solche zu demaskieren. Sie sind vielleicht nicht die Ersten, die in diese Kerbe schlagen; das Stück jedenfalls ist durch den anspruchsvollen Text und die schauspielerische Leistung äußerst witzig und gelungen. (Stefan Mayer / DER STANDARD, Print-Ausgabe, 14.1.2010)