Elias Bierde: Mein Gefühl der Sicherheit ist nicht zufriedengestellt, wenn vor meiner Haustür Burschen mit Kriegswaffen herumtorkeln

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Am Freitag wird Elias Bierdel, der vor Gericht stand, weil er Flüchtlinge aus dem Meer rettete, der Ute-Bock-Preis verliehen. Mit Irene Brickner sprach der Wahlburgenländer über Eberau und die EU-Grenzabschottung. 

Standard: Sie sind Deutscher und wurden bekannt, weil Sie mit dem Schiff "Cap Anamur" Bootsflüchtlinge aus dem Mittelmeer fischten und dafür der Schlepperei bezichtigt wurden. Seit einem Jahr leben Sie im burgenländischen Pinkafeld. Was sagen Sie zur Diskussion um das Erstaufnahmezentrum Eberau?

Bierdel: Zwar fühle ich mich als Deutscher nicht berufen, in Österreich auf etwas mit dem Finger zu weisen - zumal manche der üblen Dinge, die hier jetzt eingeführt wurden, in Deutschland schon existieren, etwa Gebietsbeschränkungen für Asylwerber. Aber was jetzt im Burgenland passiert, tut mir weh. Hier versucht man - wie in ganz Europa - den Losungen der Rechten entgegenzutreten, indem man sie übernimmt.

Standard: Wie zeigt sich das?

Bierdel: Etwa darin, dass ein sogenannter Experte bei einer Informationsveranstaltung der Landesregierung über das geplante Asylzentrum die Anwesenden warnte, aufgrund des Erstaufnahmezentrums würden vermehrt Ausländer auf den Straßen zu sehen sein. Da wundert es mich nicht, dass jetzt in Österreich über Internierungspläne diskutiert wird, die leider schon in vielen anderen EU-Staaten existieren und übrigens da wie dort ein Zeichen intellektueller und moralischer Verkommenheit sind, weil die Einsperrung Menschen trifft, die in Europa Schutz und Hilfe suchen.

Standard: Was schmerzt Sie am österreichischen Umgang mit Flüchtlingen?

Bierdel: Ich finde es etwa unglaublich, dass im Burgenland als einziger Region in der EU zur Abwehr von Flüchtlingen das Militär auf den Straßen patrouilliert. Wer das für einen Fortschritt hält, dem kann ich nur sagen: viel Spaß - und orientieren Sie sich weiter an Afghanistan und Nordkorea.

Standard: Der Assistenzeinsatz des Bundesheeres soll das Sicherheitsgefühl der Bevölkerung verbessern. Passt da so ein Vergleich?

Bierdel: Doch, denn in einer Demokratie gibt es für Aufgaben der inneren Sicherheit nicht zufällig die Polizei. Mein Gefühl der Sicherheit ist nicht zufriedengestellt, wenn vor meiner Haustür Burschen mit Kriegswaffen herumtorkeln. Ich bin in Westberlin direkt an der Mauer aufgewachsen. Soldatenpatrouillen in Friedenszeiten finde ich nicht normal.

Standard: Das Burgenland liegt in der EU, die EU schottet sich ab. Wo liegt der Zusammenhang zwischen Eberau und der EU-Flüchtlingsabwehrpolitik mit jährlich geschätzten 4000 Toten im Mittelmeer?

Bierdel: Es ist derselbe Ungeist. Auch die EU als Ganze hat das heikle Feld der Zuwanderungskontrolle in die Hand von Militärs und Paramilitärs gelegt: in Gestalt der EU-Agentur Frontex, die für den Schutz der Außengrenzen zuständig ist und das Geschehen an den Grenzen allein unter den Aspekten der Bedrohung und Absicherung betrachtet.

Standard: Was geschieht an diesen Grenzen?

Bierdel: Es herrscht Brutalität, im Osten wie im Süden. Diese besteht aus systematisch unterlassener Hilfeleistung, im Herauszerren von Flüchtlingen aus Booten, dem Wegreißen der Kleidung, dem Unterwassertauchen der Köpfe, in Scheinhinrichtungen: für die griechische Küstenwache haben wir das hundertfach dokumentiert. Am Fluss Evros, wo der europäische Teil der Türkei an Griechenland und Bulgarien stößt, liegen auf einer Länge von 42 Kilometern 1,5 Millionen Landminen. Dort gab es in den letzten fünf Jahren rund 300 Tote - und fast niemand weiß es, weil die Medien darüber nicht berichten: ein höchst unheimliches Schweigen.

Standard: Kann man es brechen?

Bierdel: Ja, durch systematische Recherche, wie es der von mir mitgegründete Verein Borderline Europe tut. Ich verstehe, dass die Politik diesen Teil der Folgen einer wahnhaften Abschottung nicht gerne diskutiert haben möchte, weil die Politik nicht wirklich Lösungen dafür hat. Aber Journalisten und Medien müssen diesen Themen mehr Raum einräumen, denn der Umgang mit den Flüchtlingen ist das entscheidende Menschenrechtsthema in Europa

Standard: Borderline ist auch die Bezeichnung einer psychischen Störung zwischen Neurose und Wahn. Der Name des Vereins ist kein Zufall, nehme ich an?

Bierdel: Richtig, das ist beabsichtigt. Wer am Borderlinesyndrom leidet, kann eigene Widersprüche nicht mehr überbrücken und wird aggressiv. In Europa spitzen sich die Widersprüche zwischen der Menschenrechtsrhetorik und dem, was tatsächlich passiert, immer mehr zu. Die Zeche zahlen die Flüchtlinge. (DER STANDARD, Printausgabe 14.1.2010)