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Chaos auf den Straßen der Hauptstadt Port-au-Prince. Tausende Opfer werden noch unter den Trümmern vermutet.

Foto: AP/Gregory Bull

Befürchtet werden bis zu 100.000 Tote.

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Gleich mal vorweg - ich lebe!" Mit diesen Worten beginnt Regina Tauschek ihr E-Mail an Freunde und Verwandte. Es ist das erste Lebenszeichen der Linzerin, die seit 1974 als Entwicklungshelferin in Haiti arbeitet, nach der Erdbebenkatastrophe. Tauschek beschreibt in der Nachricht die dramatischen Stunden nach dem Beben und schildert das unüberschaubare Ausmaß der Katastrophe: "Ihr könnt es euch nicht vorstellen, es ist schrecklich, was hier im Augenblick abgeht. Es war 17.00 Uhr, und ich war noch im Büro, als das Beben geschah.

Es begann nicht schleichend, wie die früheren Beben, die ich in Zentralasien und Indien erlebt habe, sondern gleich mit voller Kraft. "Bei den letzten Schritten in Richtung Garten, dachte ich nur: Ich schaffe es!"

"Völliges Chaos"

Nach dem Abklingen des Bebens versucht die 43-jährige Oberösterreicherin mit dem Auto nach Hause zu fahren: "Je weiter ich den Berg abwärts fuhr, um so mehr war das Ausmaß der Katastrophe sichtbar. Das EU-Gebäude ist abgeriegelt, die Straßen herum gesperrt, überall lagen Ziegelsteine und Glasscherben. Auf den Straßen herrschte völliges Chaos. Verletzte und Tote wurden die Straße entlanggeschleppt. Eine Frau mit abgerissenen Armen wurde an mir vorbeigetragen." Das Schreiben schließt mit dem Satz: "Ich weiß noch nicht, wie viele Freunde ich verloren habe, es gibt Momente im Leben, da gibt es keine Worte mehr, um die Situation zu beschreiben!"

Während in Haiti die Menschen verzweifelt nach Verschütteten graben, das Trinkwasser knapp wird und es Plünderungen gibt, sammeln sich im Nachbarland Dominikanische Republik Hilfsteams aus aller Welt. Nahrungsmittel, Medikamente, Zelte und Suchhunde sind auf dem Weg in die haitianische Hauptstadt Port-au-Prince. "Das wird seit dem Tsunami wohl der größte internationale Hilfseinsatz nach einer Naturkatastrophe" , sagt Ärzte-ohne-Grenzen-Sprecherin Tina Wolf. US-Außenministerin Hillary Clinton nannte zwar keine konkreten Opferzahlen, verglich das Beben aber auch mit dem Tsunami, der Weihnachten 2004 Asien heimgesucht hatte und bei dem rund 230.000 Menschen starben.

Die internationale Hilfe kann allerdings nicht so schnell vor Ort eintreffen wie geplant. "Auf dem Flughafen von Port-au-Prince können größere Transportmaschinen derzeit noch nicht landen. Ausgangspunkt für die Helfer wird deshalb Santo Domingo im Nachbarstaat" , schildert Hauke Hoops - Regional Emergency Coordinator der Hilfsorganisation Care und am Donnerstag auf dem Weg nach Port-au-Prince - dem Standard. "Problematisch" sei derzeit vor allem auch der Grenzübertritt in die Dominikanische Republik. Hoops: "Zahlreiche Haitianer versuchen, über die Grenze zu gelangen. Vonseiten der Dominikanischen Republik geht man aber da sehr selektiv vor und lässt nur wenige ins Land."

Haitis Regierung befürchtet bis zu 100.000 Tote. Etwa drei Millionen Einwohner Haitis seien in Not. Tausende Menschen werden noch unter den Trümmern vermutet. Das ganze Ausmaß der Katastrophe blieb aber am Donnerstag weitgehend ungewiss. Bestätigt wurde indes, dass eine 61-jährige gebürtige Österreicherin, die seit vielen Jahren auf der Insel lebte, unter den Toten ist.

Unter den zahlreichen Gebäuden, die bei dem Beben der Stärke 7,0 am Dienstagnachmittag in der Millionenstadt Port-au-Prince dem Erdboden gleichgemacht wurden, ist u. a. das UN-Hauptquartier und die Kathedrale, Erzbischof Joseph Serge Miot zählt zu den Toten. Der Chef der UN-Mission, Hedi Annabi, wird nach wie vor vermisst. Am Donnerstag befand sich auch bereits der US-Flugzeugträger "USS Carl Vinson" auf dem Weg nach Haiti, um Hubschrauber zu bringen und als Landeplatz zu dienen. (mro, spri, DER STANDARD - Printausgabe, 15. Jänner 2010)