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 "Als ich mich eines Tages bei Facebook einloggte, sah ich sofort, dass einer meiner mehr als 90 Freunde seinen Beziehungsstatus von 'Single' auf 'in einer Beziehung' geändert hatte. Bei genauerem Hinsehen dann der Schock: Es war meine 62 Jahre alte Mutter." Was die britische Publizistin Alison Tyler erlebt hat, ist kein Einzelfall. Denn immer mehr Menschen älteren Semesters entdecken soziale Netzwerke wie MeinVZ, Wer-kennt-wen oder eben Facebook für sich. Immer öfter heißt es: Hilfe, meine Mutter gruschelt mich!

Kunstwort

Für Nichteingeweihte: "Gruscheln" ist ein Kunstwort und meint eine per Knopfdruck zugeschickte Benachrichtigung, dass jemand im Netzwerk einen irgendetwas zwischen "kuscheln" und "grüßen" möchte.

Die Gruppe der Frauen über 55 wächst im größten sozialen Netzwerk Facebook am schnellsten. Zwar sind die 13- bis 25-Jährigen dort noch am besten vertreten, aber das könnte sich bald ändern. Die Plattform wirbt gezielt um ältere Menschen, haben die Macher des Blogs "facebookmarketing" beobachtet. Sie mache ihnen schmackhaft, im Netz mit ihren Kindern, die oft weit weg von zu Hause leben, in Kontakt zu bleiben oder zu treten.

"Best- und Golden-Ager sind unter den Mitgliedern zunehmend stärker vertreten"

Auch die Betreiber der VZ-Netzwerke - der größten deutschen Netzwerke - beobachten einen Anstieg bei älteren Nutzern. "Best- und Golden-Ager sind unter den Mitgliedern zunehmend stärker vertreten", sagt ein Unternehmenssprecher. Immer mehr Netzwerker stehen also vor der Frage: Was tun, wenn Mama mein Facebook-Freund sein will oder bei Studi- oder MeinVZ in die Freundesliste drängt?

Will ich wirklich, dass meine Mutter meine Partyfotos mit Sätzen wie "Du hast doch gesagt, Du musst lernen!" kommentiert? Will ich vorwurfsvoll gefragt werden, warum auf meiner Farm beim Facebook-Spiel "Farmville" das Unkraut sprießt? Will ich Fragen hören wie: "Wer ist denn der junge Mann, der Dir da geschrieben hat?"

Das sollte man sich gut überlegen, bevor man bei der Freundschaftsanfrage seiner Mutter oder auch der Tante oder der Oma auf "hinzufügen" klickt, sagt der Kommunikations- und Medien-Wissenschafter Wolfgang Reißmann von der Universität Erfurt. "Man sollte vorher darüber nachdenken, was man seinen Eltern von sich zeigen möchte und was nicht. Es geht um individuelle Grenzziehungen", sagt der Experte für soziale Netzwerke.

"Wichtig" oder "sehr wichtig"

Nach einer Studie der Universität Leipzig nutzt ein Großteil von Jugendlichen und jungen Erwachsenen soziale Netzwerke vor allem, um mit Freunden zu kommunizieren. Die Wissenschafter der Professur für Medienpädagogik befragten 6.588 Nutzer der Internet-Plattform SchülerVZ im Alter zwischen zwölf und 19 Jahren. 95 Prozent gaben an, die Kommunikation mit Freunden sei "wichtig" oder "sehr wichtig".

"Als soziale Netzwerke wie MySpace oder Facebook entstanden, haben Teenager sie als Räume angenommen, um die eigene Identität darzustellen und Kontakt zu Gleichaltrigen aufzunehmen", schreibt die Wissenschafterin Danah Michele Boyd von der renommierten Berkeley-Universität in Kalifornien. "Teenager tratschen, flirten, machen Witze, tauschen Informationen aus oder verbringen einfach Zeit zusammen."

Nach Ansicht Reißmanns sollten Eltern auf jeden Fall mit ihren Kindern reden, bevor sie ihnen eine virtuelle Freundschaftseinladung schicken. "Eltern-Kind-Beziehungen sind heute in der Regel symmetrischer und einige Jugendliche haben vielleicht nichts dagegen, dass ihre Eltern die Partyfotos ansehen können", sagt Reißmann. "Andere wollen das wiederum nicht - die Entscheidung muss bei den Jugendlichen liegen." Sie hätten ein Recht darauf, alleingelassen zu werden, sagt er. "Es ist wie im richtigen Leben - wir gehen ja auch nicht ungefragt mit ihnen in die Diskothek."

Nutzer können ihre virtuellen Freunde in Kategorien einteilen

Damit es nicht dazu kommt, dass alle Nutzer, die ihre Eltern oder Großeltern zu ihren virtuellen Freunden zählen (müssen), verschämt schweigen und sich niemand mehr traut, peinliche Fotos hochzuladen, haben die Facebook-Verantwortlichen sich etwas einfallen lassen: Nutzer können ihre virtuellen Freunde in Kategorien einteilen. So können sie entscheiden, wer welche Fotos zu Gesicht bekommt und wer die Klage über den schlimmsten Kater des Lebens lesen darf.

Außerdem tauschen sich betroffene Facebook-Nutzer mit online-aktiver Mutter auch in Foren und Gruppen aus. "Mum, get off Facebook" (Mama, raus aus Facebook) heißt eine Gruppe. In einer anderen Gruppe versammeln sich "Those who believe their Mum should get off Facebook and into the kitchen", deutsch: "Diejenigen, die glauben, ihre Mama sollte raus aus Facebook und ab in die Küche." (APA/dpa)