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Ausrutschen, hinfallen, Knochenbruch: in den Wintermonaten eine klassische Krankengeschichte

Foto: APA/Thomas Kienzle

Schnee und Glatteis machen den öffentlichen Raum für ältere Menschen zum Risikogebiet. Die Angst, auf schlecht geräumten oder nicht gestreuten Wegen zu stürzen und sich zu verletzen, ist nicht unbegründet, wie aktuelle Zahlen des Kuratoriums für Verkehrssicherheit zeigen: 2008 verletzten sich in Österreich 16.600 Menschen durch Ausrutschen auf Schnee und Eis so schwer, dass sie ins Krankenhaus gebracht werden mussten. Zwei Drittel davon zogen sich Knochenbrüche zu.

"Typische Winterbrüche" sind, so Oskar Kwasny, Leiter der Unfallchirurgie am AKH Linz, Handgelenks- und Schulterfrakturen. "An den ersten Glatteistagen passiert meist noch nicht viel", beobachtet Kwasny, "die älteren Leute bleiben zu Hause, aber am vierten, fünften Tag, wenn die Vorräte zu Ende gehen, häufen sich die Verletzungen, da behandeln wir dann zehn bis 15 Handgelenksfrakturen pro Tag." Vorbeugen könnte man Sturzverletzungen durch koordinatives Training. Denn: "Je unbeweglicher jemand ist, umso höher ist die Knochenbrüchigkeit."

Hauptursache Osteoporose

Am meisten fürchten sich alte Menschen vor einem "Oberschenkelhalsbruch", wie die häufigste Art einer Hüftfraktur umgangssprachlich genannt wird. "Hüftfrakturen sind aber keine typische Winterverletzung", sagt Oskar Kwasny, "denn sie passieren überwiegend daheim." Meist fallen die Menschen hilflos auf die Seite. Sie können den Sturz nicht abfangen, weil Balancegefühl und Beweglichkeit nicht (mehr) vorhanden sind. Die Zahl der Hüftfrakturen in Österreich wird auf 14.000 bis 15.000 pro Jahr geschätzt. 90 Prozent dieser Brüche gehen auf Osteoporose zurück.

Hüftfrakturen müssen operativ behandelt werden. Je nach Alter der Patientinnen und Patienten wird das Hüftgelenk ganz oder teilweise durch Prothesen ersetzt. Bei aktiven unter 80-Jährigen ist der Totalersatz Standard. Gefürchtet ist der "Oberschenkelhalsbruch" vor allem wegen möglicher Folgen - innerhalb des ersten Jahres nach einer Schenkelhalsfraktur beträgt die Sterblichkeit 20 bis 30 Prozent. Die Gründe dafür sind noch ungeklärt.

Risiko ist kalkulierbar

Gute Nachrichten liefert die Medizinische Universität Graz. Eine Studie über die Inzidenz von Hüftfrakturen der letzten 20 Jahre kommt zu überraschenden positiven Ergebnissen. Während die Anzahl der osteoporotischen Frakturen bis 2006 stark angestiegen war, geht sie seit 2006 deutlich zurück. "Warum, wissen wir noch nicht", sagt der Grazer Osteologe Hans Peter Dimai, "aber es gibt Hypothesen" - etwa die medikamentöse Therapie der letzten zehn Jahre und steigendes Gesundheitsbewusstsein der alternden Bevölkerung.

Positiv auf die Statistik wirke sich, so Dimai, der veränderte Lebensstil der Generation 50+ aus. Sie ernähre sich gesünder, rauche weniger und bewege sich mehr, wodurch das Osteoporose-Risiko sinke. Die österreichische Studie decke sich mit Beobachtungen aus der Schweiz, Finnland, den USA.

Neben der Knochendichtemessung steht nun ein neues Werkzeug zur Risikobewertung zur Verfügung. Wer wissen will, wie hoch sein individuelles Risiko ist, in den nächsten zehn Jahren eine Hüftfraktur zu erleiden, kann sich die Wahrscheinlichkeit durch ein kostenloses Online-Tool errechnen. Das von der Weltgesundheitsorganisation WHO entwickelte Programm wurde mit österreichischen Daten adaptiert. "Ziel ist die Kalkulation des individuellen zehnjährigen Knochenbruchrisikos", so Dimai.

Die Risikofaktoren - Hüftfrakturen der Eltern, Body-Mass-Index, Rauchen, Alkohol, Rheumatoide Arthritis, Kortison-Therapie, Knochenbrüche nach dem 50. Lebensjahr - werden im Gespräch erhoben, der Computer rechnet.

Risiko einschätzen

Dimai: "Wer ein hohes Risiko hat, gehört behandelt." Ab einem zehnjährigen Knochenbruchrisiko von 15 bis 20 Prozent hält der Osteologe den Einsatz von Medikamenten wie Bisphosphonate für sinnvoll. Bei geringerem Risiko genügt auch Prävention durch gesunde Ernährung (reich an Vitamin D) und gezielte Körperarbeit.

Ab wann eine Osteoporosebehandlung kosteneffektiv ist, entscheidet die Gesundheitspolitik. Großbritannien etwa habe den Wert bei einem Knochenbruchrisiko von zehn bis 15 Prozent angesetzt. Österreich hat seine Therapieschwelle noch nicht festgelegt. Eine Studie dazu ist in Arbeit und soll in drei Jahren vorliegen. Ziel der Analyse sei nicht nur der internationale Kostenvergleich, sondern auch Erkenntnisse zur Verbesserung der Lebensqualität nach osteoporotischen Frakturen. (Jutta Berger, DER STANDARD Printausgabe, 18.1.2010)