Standard: Wie kann man Sturzverletzungen vermeiden?
Feuerstein: Durch gezieltes Lernen. Man kann die Reflexe trainieren, die Weichheit, die Geschmeidigkeit des Körpers organisieren. Nicht zu Unrecht heißt es: Ein guter Stolperer fällt nicht.
Standard: Wie lernt man denn diese Körperbeherrschung?
Feuerstein: Durch Körper- und Bewegungsarbeit, Tanz, auch Turnen und durch Sturztraining. Beobachtet man, wie Menschen hinfallen, dann sieht man, dass sie den Ellenbogen vorn haben - zack, der ist dann ab. Oder sie versuchen, sich mit der Hand abzufangen, dann bricht das Handgelenk. Viele knallen auf das Becken. Reflexartig würden wir aber abrollen, Kopf und Wirbelsäule schützen, indem wir alle Beuger kontrahieren.
Standard: Was hindert unsere Reflexe zu funktionieren?
Feuerstein: Jeder unkontrollierte Übergang vom Stehen ins Liegen ist für den Organismus ein Schock. In dieser Schrecksekunde werden die Muskeln angespannt, die Wirbelsäule versteift. Die Reflexe funktionieren nur, wenn man nicht in diesem Schreckzustand verharrt. Je steifer man ist, umso größer ist auch die Verletzungsgefahr.
Standard: Wer ist gefährdet?
Feuerstein: Menschen mit geringer Knochendichte und Menschen mit kleinem Bewegungsrepertoire. Das sind nicht nur ältere Menschen. Osteoporose, der Verlust von Knochendichte, tritt immer öfter auch bei Jungen auf.
Standard: Weiß man, warum?
Feuerstein: Wir verbringen einen großen Teil der Lebenszeit im Sitzen, dafür ist unser Stützapparat aber nicht gebaut. Unser Bewegungsrepertoire wird einseitig, der Druck auf das Skelett verändert sich, Knochen, die nicht benutzt werden, bauen ab. Handlungsabläufe, die wir nicht mehr üben, vergessen wir. Diese sensomotorische Amnesie führt zum Verlust von Bewegungsfunktionen. Unser Gleichgewichtssinn bekommt durch die glatten Oberflächen der Böden immer weniger Anreiz und verkümmert.
Standard: Wie kann man den Verlust von Bewegungsfunktionen verhindern oder stoppen?
Feuerstein: Indem man seine Alltagsbewegung verändert, die Stabilität und den Regenerationsprozess des Knochens durch spezielle Übungen fördert. Je früher man damit beginnt, umso besser. Man sollte das Empowerment der Knochen bereits in die Bewegungsförderung von Kindern und Jugendlichen integrieren. (Jutta Berger, DER STANDARD Printausgabe 18.1.2010)