Willi Resetarits und Ernst Molden erwandern gern Wiener Betongegenden. Was sie von der Asyldebatte halten und wie Klosterneuburger Amphibien auf die Donauinsel kamen, verrieten sie Renate Graber.
Molden: Entschuldigung, ich bin etwas zu spät, wir proben grad mein neues Theaterstück "Häuserl am Orsch" für den Rabenhof, für das wir auch die Musik machen.
Standard: Strenger Titel. Worum geht es?
Molden: Vater und Tochter führen ein Wirtshaus, Vater ist müd', Tochter findet sich keinen Mann. Zeitgleich geht ein bärtiger Waldmensch um, vor dem sich alle fürchten, zeitgleich werden viele Hunde erschossen...
Resetarits: ...den hab ich gekannt, der hat uns immer Pilze gebracht ins Schutzhaus am Schafberg. Unter der Budel, also nicht so offiziell, hat man auch die nicht erlaubten Pilze gekriegt. Er hat wirklich wie ein Waldmensch ausgeschaut. Und dein "Häuserl" liegt zwischen "Häuserl am Roa" und "Häuserl am Stoa" im Wienerwald?
Molden: So ungefähr. Unser Waldmensch braucht die Pilze selbst, es stellt sich nämlich heraus, dass er keine Bedrohung ist, sondern ein verwirrter Investmentbanker, der nach der letzten Wirtschaftskrise in den Wald gegangen ist. Das alles begleitet von lauter Rockmusik, zu laut fürs Theater.
Resetarits: Können die nicht auch leise spielen?
Molden: Oh ja. Aber sie wollen nicht.
Resetarits: Es ist der Raum zu klein. Die lauten Instrumente wurden ja seinerzeit von den Urmenschen erfunden für die größeren Waldlichtungen (lacht).
Standard: Sie sagen, Ihre Band will nicht leiser spielen. Sind Künstler generell schwierige Menschen?
Molden: Betreten wir jetzt das Interview?
Standard: Wir haben es schon betreten.
Resetarits: Der Herr Molden ist Künstler und ein ganz, ganz lieber und umgänglicher Mensch.
Standard: Und Sie?
Resetarits: Ich bin ein Bärli. Also das heißt, es ist nicht g'sagt, dass man mit sich selbst und der Welt in Zwist und einem schwierigen Verhältnis leben muss, um kreativ sein zu können. Wiewohl wir alle unsere Lebenskrisen haben.
Standard: Wir sitzen hier im Floridsdorfer Café Fichtl, skurril...
Resetarits: Ich als Floridsdorfer muss den Bezirk ein bisschen promoten: So viele Menschen wohnen hier, und es ist trotzdem ein weißer Fleck auf der Landkarte.
Standard: Dabei sollte Florisdorf 1904 die Hauptstadt Niederösterreichs werden.
Resetarits: Ja, vorweggenommene St.-Pölten-Diskussion...
Standard: Jetzt diskutiert Österreich über Asyl-Politik. Als Integrationshaus-Obmann helfen Sie Flüchtlingen, Sie beide haben sich über Wiener Musik gefunden, über Wien. Was ist denn für Sie Heimat?
Resetarits: Ich habe nicht eine Heimat, ich haben Heimaten. Stinatz, wo ich geboren bin, Burgenland, Floridsdorf, Waldviertel. Heimaten sind in der Musik, sind dort, wo man sich wohlfühlt.
Molden: Heimat ist, wo ich einraste, wenn ich die Türe hinter mir zu mache. Geografisch ist es Wien. Ich fühle mich in Österreich nur in Wien wirklich wohl, weil in kleineren Ansiedlungen sind Vorurteile und Mobilisierung für österreichische Grauslichkeiten noch größer als hier. Davor graust mir.
Standard: Ihre Familie ist 1982, nach dem Konkurs des Verlags Ihres Vaters, nach Alpbach übersiedelt. Sie waren 15: entwurzelt?
Molden: Nein. Ich habe mich eher gefreut, dass ich endlich eine Familie habe, meine Eltern waren davor gesellschaftlich sehr aktiv, ich wuchs mit Großmutter und Kindermädel auf. Und nach der Matura am Franziskanischen Privatgymnasium in Hall in Tirol und Bundesheer bin ich ohnedies wieder nach Wien gegangen.
Standard: Klingt nach strenger Schule.
Molden: Nein, ich kam ja aus dem Wiener Schottengymnasium...
Resetarits: War da Lodenmantelpflicht?
Molden: Nein, Lodenmantel war aber gern gesehen. Die Franziskaner waren okay: In Osttirol gab es damals noch kein Gymnasium, und da sind die Franziskaner im Sommer in Sandalen zu den entrischen Gründ' gegangen und haben dort fromme Buben aufgelesen. Die haben ein Stipendium bekommen, das Gymnasium hat sie nichts gekostet – und die Hoffnung der Franziskaner war, dass ein, zwei pro Jahr ins Kloster gehen.
Resetarits: Im Südburgenland musste man als armer Bub – für Mädchen kam das Gymnasium damals ja gleich gar nicht in Frage – vorgeben, Priester werden zu wollen, dann kam man ins Priesterseminar nach Mattersburg. Da hat man dann kurz vor der Priesterweihe oder nach der Matura abspringen müssen und sagen: "Pfui Teufel, doch nicht, Fleischeslust und so".
Standard: Ihre Eltern gingen aus all den Gründen nach Wien?
Resetarits: Ja, Stinatz war Jahrhunderte lang ein Dorf ohne Männer, die haben immer auswärts gearbeitet. Meine Eltern wollten zusammenbleiben und uns Kindern eben auch Bildung mitgeben. Bei uns in Stinatz gab es eine achtstufige kroatische Schule, danach keine Weiterbildung mehr, alle sind Arbeiter geworden.
Standard: Sie sind burgenländischer Kroate, Sie kamen mit drei Jahren nach Wien. Ihr erster deutscher Satz: "Der Schiff schreit tüüü." Längst gelten Sie als Experte des Wiener Dialekts: Ein Fall von Überanpassung?
Resetarits: Ich musste in Wien akzentfrei deutsch sprechen, bei den Großeltern kroatisch. In Wien war uns Kroatisch verboten: Assimilation pur, so war das damals.
Standard: Waren Sie eigentlich als Bub, wie Ihr Bruder Lukas, auch Ministrant in der Kepler Kirche, beim Jugendkaplan Adolf Holl?
Resetarits: Ja, bei Holl habe ich ministrieren gelernt und die lateinischen Gebete. Ich bin immer an meinem älteren Bruder drangehängt. Wir waren 14 Monate, aber zwei Klassenzüge auseinander – das sind für ein Kind Generationen.
Standard: Und sind Sie wie Ihr Bruder auch Rapidler?
Resetarits: Nein, das eben nicht.
Standard: Sie haben ja in Schmetterling-Zeiten selbst Fußball gespielt, im "FC Nachdenker" auf der Marswiese.
Resetarits: Ja, da waren ein paar Uni-Assistenten dabei, darum wollten wir dem Klub einen Namen geben, der zeigt, dass da die Intellektuellen spielen. Wir waren eine Supermannschaft: alle sehr unzuverlässig, alle Freaks. Man darf ein Spiel ja nur beginnen, wenn mindestens sieben von den Elfen da sind. Da mussten wir immer betteln, dass der Schiedsrichter mit dem Anpfiff wartet, unser Siebenter hat sich meist im Reinlaufen die Hose angezogen, zur Halbzeit waren dann auch wir zu elft. Das hat die Gegner dann immer sehr gedemütigt: Dass wir dann auch noch g'wonnen haben in der zweiten Halbzeit.
Standard: Sie kommen aus dem Nobelbezirk Döbling, singen laut Kritiken "Oxford-Wienerisch"...
Molden: Das Döblinger Erbe verkommt in mir, aber ich kann schon noch schön sprechen. Mein Irrweg begann in der Volksschule Grinzinger Straße.
Standard: Da gingen auch die Kinder aus dem Karl-Marx-Hof hin.
Molden: Man musste sich zwar nicht assimilieren, aber es war gut, den Wiener Spruch zu beherrschen. Ich habe aber auch perfekt Unterinntalerisch und Innsbruckerisch gesprochen, sprachliche Anpassung und Musik hängen zusammen. Sprache ist ja Musik, schönere oder schiachere.
Standard: Was ist das Schöne am Wienerischen? Es kann ja ganz schön schiach sein.
Molden: Wienerisch ist eine Sprache, in der man sich schön einrichten kann, auch weil es so viele Wienerischs gibt. Was in Cisdanubien Gstettn heißt, heißt in Transdanubien Gschdedn (ungepflegte Grünanlage; Anm.)...
Resetarits: Ja, der Wiener Dialekt hat viele Ebenen. Hier in Transdanubien gab es viele Roma und Sinti. Nehmen Sie den Dilo: Dilo ist ein Roma-Eigenschaftswort, heißt deppert und wurde im Wienerischen zum Hauptwort.
Standard: Aber die "Schmetterlinge", bei denen Sie ab 1969 waren, sangen hochdeutsch?
Resetarits: Ja, wir haben auch den Großteil unserer Konzerte in Deutschland gespielt. Da kam uns das Hochdeutsch grad zupass, wiewohl die Norddeutschen unser drolliges Wienerisch gelobt haben. Und wir haben geglaubt, wir singen Burgtheater-Deutsch.
Molden: Das ist noch immer so: Selbst wenn ich Hochdeutsch singe, werde ich in Deutschland als Vertreter von Weltmusik wahrgenommen. Man gilt als einer, der aus einem andren Weltteil kommt und Geschichten zu erzählen hat.
Standard: Stichwort anderer Weltteil: Wie sehen Sie die Asylbedatte?
Resetarits: Sie ist ekelerregend, und ich muss auch immer viel speiben, wenn ich die Nachrichten höre. Das Thema ist verkommen zur Wählerstimmenquelle, hat gar nichts mehr mit dem Umgang mit Zuwanderung und Asyl zu tun. Man braucht sehr viel Sachverstand und poltischen guten Willen, um für die hier Wohnenden und die Zuwanderer gute Bedingungen herzustellen. Außerdem gehören Asylfragen nicht ins Innenministerium, die Polizei soll Kriminalität aufklären und uns vor Übeltätern schützen. Wenn Unschuldige bei uns Schutz verlangen, muss das eine andere, sozialere Institution tun, nicht das Polizeiministerium, sondern etwa das Sozialministerium oder ein Staatssekretariat. Und die Eberau-Diskussion zeigt, wie verfahren die Sache ist. Diese Erstaufnahmezentren dienen ja nur zur Abklärung des Zulassungsverfahrens: Man versucht mehrere Monate lang nachzuweisen, dass die Flüchtlinge aus einem Drittland eingereist sind, in das man sie zurück expedieren kann. In der Zeit könnte man ein inhaltliches Asylverfahren beginnen, wenn die Leute auch noch arbeiten dürften und man in ganz Österreich verteilt Wohnungen für sie aufstellen könnte, ginge das alles viel schneller und billiger. Und man könnte das Thema entspannter angehen.
Standard: Die Debatte wird aber immer unentspannter geführt.
Molden: Für mich ist es egal, ob jemand seine Heimat verlässt, weil er verfolgt wird, oder weil er arm ist. Wenn jemand ins Ungewisse geht, ist das eine der mutigsten Taten, die man setzen kann. Dagegen haben wir in Österreich uns seit Jahrhunderten in Dörfern und Städten eingegraben, auch emotionell und intellektuell. Dass Flüchtlinge materiell oder politisch bedroht sind, wird nicht gewürdigt, sie werden kollektiv als Bedrohung abgestempelt. In einem der reichsten Länder der Welt kommt das unappetitlicher rüber als etwa in Süditalien.
Standard: Und warum sind die Österreicher so?
Resetarits: Der Mensch hat eben auch niedere Instinkte, man kann die fördern oder bremsen. Es läge an den Politikern zu erklären, dass es Gesetze gibt, die einzuhalten sind und deren Bruch geahndet wird. Dass es aber auch humanitäres und wirtschaftliches Interesse gibt an Menschen, die bei uns geregelt zuwandern.
Molden: Wobei ich die Eberauer verstehe: Ein so großes Lager in einem so kleinen Ort, das passt ja nicht zusammen...
Resetarits: ... kleine Wohneinheiten für Flüchtlinge in einem dichter besiedelten Gebiet in der Nähe von jenen Institutionen, die die Flüchtlinge brauchen, wären viel besser. Es müssen ja nicht immer alle Straßenfeste miteinander feiern und einander lieb haben – man muss aber die Bereitschaft haben, die Probleme lösen zu wollen.
Standard: Ich wollte noch einmal zu Wien kommen. Qualtinger sagte einmal: "Ich weiß nicht, ob ich ein Wiener oder ein Mensch bin." Wie beschreiben Sie den Wiener?
Resetarits: Gar nicht, ich glaube an die Vielfalt. In einer Großstadt findet man immer das Umfeld und das Personal, das nach dem eigenen Gusto ist, und mit dem kann man viele Jahre gut verbringen.
Molden: Zudem ist jede große Stadt ein Medusenhaupt; ich liebe es, wenn ich wohin muss in Wien, wo ich zuvor noch nie war.
Resetarits: Ich auch. Ich habe Wanderstiefel an und gehe mit Stadtplan wandern, in Gegenden, in denen ich mich nicht auskenn‘.
Molden: Warst schon einmal am Telefonweg?
Standard: Der in Essling?
Molden: Genau, Wiens längster Weg, ungefähr acht Kilometer.
Resetarits: Aspern, Essling stehen mir noch bevor: Da kann man mit Rucksack und Proviant herrliche Wanderungen machen. Riesige Einkaufszentren kann man da durchmessen, das hat doch was.
Molden: Ich fahr' gern nach Simmering, dort beim Autoabschleppplatz: traumhafte Gegend.
Standard: Bei der Kläranlage? Öd.
Molden: Nicht, sobald man zu Fuß geht.
Resetarits: Der Karst, das Hochgebirge sind ja auch nicht lieblich, haben auch was Strenges. Diese Betongegenden und Einkaufszentrengegenden haben einen gewissen, leicht kranken Flair.
Standard: Ihr Lieblingsort in Wien?
Resetarits: Birner-Brückl. Ein Fußgängersteig über die Alte Donau, vom Angelibad zum Gasthaus Birner. Wenn sich da der Spitz der Kinzerkirche im Wasser spiegelt: herrlich. Und ein, zwei Mal im Jahr den Nasenweg (Leopoldsberg; Anm.) raufgehen: Ist auch Pflicht.
Molden: Lusthauswasser-Gegend im Grünen Prater, Hanslteich, Nussberg.
Standard: Im Hanslteich verschwinden in einem Ihrer Lieder die Mädchen.
Molden: Ja, dort fand aber auch meine erste Umweltaktion statt, ich war ja sehr tierlieb und Krötensammler. Eines Tages war der Schlamm im Teich so hoch, dass der Pächter ihn ausbaggern wollte. Da warnte ein Biologe vor der Zerstörung der Molchpopulation, es fand eine Demonstration mit fünf Leuten und einem Reporter statt – und der Teich wurde nur ganz sanft gereinigt.
Standard: Sie haben auch Klosterneuburger Amphibien gerettet?
Molden: In Klosterneuburg gab es einen Teich mit der größten Seefrosch- und Wechselkrötenpopulation der ganzen Gegend und der wurde zugeschüttet. Wir haben die Kröten davor in riesigen Kübeln auf die Donauinsel gebracht, sie haben sich sogleich fortgepflanzt. Ich habe auch in meinem Kinderzimmer Kröten beheimatet und Madenpopulationen in allen Verpuppungsstadien. Die standen in Gläsern unter der Heizung und wenn sie Schmeißfliegen wurden, wurden sie verfüttert. Einmal ist mir so ein Glas zerbrochen, kurz vor einem Empfang, den mein Vater gab. Da sind den ganzen Abend 200 fette Fliegen durch den Salon gezogen, von Stehlampe zu Stehlampe.
Standard: Sie hatten auch später einen Hang zum Extravaganten, haben ein Jahr im Hotel Orient gewohnt, in Wien bekanntestem Stundenhotel. Warum?
Molden: Ich habe dort meinem ersten Roman geschrieben. Damals gab es im letzten Stock noch normale Zimmer: die billigsten Fremdenzimmer im ersten Bezirk. Eines davon bewohnte ich, eines Vera Love aus Las Vegas, die Sängerin der Edenbar. Und eines vierzehn Jahre lang der Herr Arthur, ein alter KZ-Überlebender, den Hotelbesitzer Schimanko am Naschmarkt aufgelesen hatte und der etwas verwirrt war. Er ist in der Nacht immer im Jugendstilaufzug auf und ab gefahren, das war sein Hobby. Einmal haben sie Herrn Arthur erwischt, als er Klopapier aus dem Hotel geschmuggelt und am Flohmark um einen Schilling die Rolle verkauft hat.
Kaffehausgast: Entschuldigen Sie die Störung, Herr Doktor, aber ich bitte um ein Autogramm. (Resetarits signiert eine Visitenkarte.)
Standard: Sie waren bis 2003 der von Günter Brödl erdachte Dr. Kurt Ostbahn. Geht Ihnen Kurt ab?
Resetarits: Der Ostbahn-Kurti geht mir nicht ab. Das war eine sehr geglückte, runde Geschichte, die tragisch endete, weil der Günter gestorben ist. Sein Tod war Anlass, noch all sein Material zu veröffentlichen und große Konzerten zum Abschied zu geben.
Molden: Das Tolle war, dass da eine artifizielle Figur wahrhaftiger wurde als die ach so authentische Konkurrenz. Der Ostbahn-Kurti hat die Authenzität ad absurdum geführt.
Standard: Wird man da zwei?
Resetarits: Nein. In Wahrheit setzt man sich selbst durch. Es ist immer mehr Willi reingekommen in den Kurtl, im Lauf der Jahre. Und ich bin auch ein anderer geworden, durch das Kurtl-Erlebnis.
Standard: Worum geht's im Leben?
Molden: Mir ist wichtig, dass meine Kinder gesund sind, meine Frau mich liebt und ich genug Zeit für meine Freunde habe. Das ist das Leben, das muss immer sein, alles andere ist Stuckatur.
Resetarits: Man muss was anfangen, mit der kleinen Zeitspanne, die man hat. Man hat keine andere. (Renate Graber, DER STANDARD, Print-Ausgabe, 16./17.1.2010)