Wie viel Geld Hilfsorganisationen erhalten, entscheidet nicht die Zahl der Todesopfer oder das Ausmaß der Zerstörung in einem Land, laut Analysen des Österreichischen Instituts für Spendenwesen (ÖIS) richtet sich der Wille zu helfen viel mehr nach geografischer Nähe und medialer Berichterstattung.

Sterben bei ein Erdbeben in China wie im Mai 2008 mehr als 70.000 Menschen, erschüttert das offenbar weniger als eine Naturkatastrophe geringeren Ausmaßes im Nachbarland Italien. Dort wurden bei einem Beben im April 2009 knapp 300 Personen getötet. Beim Generalsekretariat des Österreichischen Roten Kreuzes (ÖRK) gingen damals rund 90.000 Euro an reinen Spendengeldern ein - Ländergruppen, Förderungen und institutionelle Gelder nicht mitgerechnet. Für das deutlich schwerer getroffene China wurden nur 70.000 Euro gespendet.

Gerhard Bittner vom ÖIS kann sich solche Ergebnisse gut erklären: "Das Erfahrbare, das Emotionale ist etwas ganz Bedeutsames - dass man vielleicht jemanden kennt, der davon betroffen ist", betonte der Spendenexperte die Wichtigkeit von erlebter Nähe. Ein Extrembeispiel und das "Mega-Event" für das Spendenwesen schlechthin sei der Tsunami am 26. Dezember 2004. Die Betroffenheit bei dem Unglück mit mindestens 220.000 Toten in bekannten Urlaubsparadiesen am Indischen Ozean zu Weihnachten war massiv, das Spendenaufkommen mit 54 Millionen Euro österreichweit enorm. Ganz weit oben im Ranking stehen auch die Kriegsverluste- und schäden in Südosteuropa in den Jahren 1992/94, für die Österreicher 57 Millionen Euro gespendet haben.

Nähe bringt mehr Großzügigkeit

Fakt ist allerdings auch, dass das Jahrhunderthochwasser in Österreich im Jahr 2002 mit neun Todesopfern für noch mehr Großzügigkeit - insgesamt 73 Millionen Euro Spendengelder - sorgte. "Eine nationale Katastrophe macht die Menschen viel betroffener", meinte ÖRK-Sprecherin Andrea Winter. Das Mehr an Mitleid wegen geografischer Nähe zeige auch der Vergleich zwischen China und Italien deutlich. "Der Hurrikan Katrina in den USA ist das beste Beispiel dafür, das die Distanz eine Rolle spielt", so Bittner. Bei 1.300 Toten und großem medialem Aufruhr gab es damals "keinen einzig wirklich bedeutenden Spendenaufruf einer österreichischen Organisation", getreu dem Motto "Die Amerikaner können das wirklich selbst handhaben".

"Virtuelle Betroffenheit" wie beim Tsunami - sehr viele waren schon dort odere kennen Urlauber - ist laut Bittner der entscheidende Faktor. "Und das ist bei Haiti nicht der Fall", bedauerte der ÖIS-Experte. Obwohl das Ausmaß der beiden Katastrophen vergleichbar sei, rechnet er mit weniger Hilfsgeldern: "Ich traue mich eigentlich nicht einzuschätzen, inwiefern es bei Haiti wirklich vergleichbare Ergebnisse geben wird. Ich würde mich freuen, wenn es zehn Prozent von denen des Tsunamis sind."

"Unsere Angelegenheit"

Ob es gelinge, das Unglück in Haiti auch als "unsere Angelegenheit" zu vermitteln, werde der entscheidende Faktor sein, betonte Bittner. "Da haben die Medien eine ganz große Rolle, aber auch Verantwortung." Ein Negativ-Beispiel hierfür seien zwei zeitgleiche Naturkatastrophen im Jahr 2008 in China und Burma, die miteinander regelrecht in "Konkurrenz" gestellt worden seien. Während es über ein Unglück detaillierte Berichte und somit auch Spenden gegeben habe, sei das andere in der öffentlichen Diskussion untergegangen. "Wenn die Medien eine Katastrophe nicht aufnehmen, ist es keine", betonte auch Winter. Dementsprechend würden die täglichen Hungertoten in Afrika auch weit aus weniger beachtet als Erdbebenopfer.

Zu hoffen ist laut Bittner, dass die Katastrophe in Haiti wachrüttelt und die langfristige Entwicklungshilfe ankurbelt. "Derzeit scheinen mir Geldbeiträge für internationale Hilfsmaßnahmen die einzige Möglichkeit zu sein", betonte er. Das Entsenden von Geräten oder Personal halte er für wenig sinnvoll. Wichtiger wäre es, dem kompetenten Personal vor Ort die nötigen Mittel zur Verfügung zu stellen. (APA)