Ein Urteil des Wiener Straflandesgerichts, das am Freitag einem gebürtigen Türken zugestanden hatte, in einer "allgemein begreiflichen, heftigen Gemütsbewegung" auf seine scheidungswillige Ehefrau eingestochen zu haben, hat umgehend politische Reaktionen ausgelöst.

Weil sich seine Ehefrau von ihm trennen wollte und ihm am 12. Oktober 2009 die Scheidungspapiere präsentierte, griff ein 46-jähriger Familienvater zu einem Messer und stach ihr damit über ein Dutzend Mal in Kopf, Brust und Hals. Danach attackierte er die lebensgefährlich Verletzte noch mit einem 50 Zentimeter langen Stahlrohr, ehe sich einer seiner Söhne dazwischen warf. Die Justiz billigte dem Täter nun zu, in einer "allgemein begreiflichen, heftigen Gemütsbewegung" gehandelt zu haben.

Obwohl man infolge der Stichführung und der objektivierten Verletzungen durchaus auf die Idee hätte kommen können, dem Mann wäre es - jedenfalls mit bedingtem Vorsatz - darum gegangen, seine Ehefrau zu töten, wurde er nicht wegen versuchten Mordes angeklagt. Die Staatsanwaltschaft begründete dies einerseits mit dem Umstand, dass sich die Frau im Strafverfahren der Aussage entschlagen hatte, und verwies andererseits auf die Herkunft des Mannes.

Dieser stammt aus der Türkei, lebt allerdings seit 1980 in Österreich und besitzt auch die österreichische Staatsbürgerschaft. Dennoch sei "im Zweifel davon auszugehen, dass der Angeklagte zum Tatzeitpunkt aufgrund der heftigen Diskussion um den Scheidungsvorsatz seiner Gattin in einer allgemein begreiflichen, heftigen Gemütsbewegung war. Gerade Ausländer oder Personen mit Migrationshintergrund befinden sich häufig in besonders schwierigen Lebenssituationen, die sich, auch begünstigt durch die Art ihrer Herkunft, in einem Affekt entladen kann. Obwohl Affekte von Ausländern in Sittenvorstellungen wurzeln können, die österreichischen Staatsbürgern mit längerem Aufenthalt fremd sind, können sie noch allgemein begreiflich sein", führte die Staatsanwaltschaft in ihrer Anklageschrift aus.

"Affektbedingter Tötungsvorsatz"

Der Schöffensenat (Vorsitz: Andreas Böhm) schloss sich dieser Ansicht an. Es liege "ein affektbedingter Tötungsvorsatz", aber kein versuchter Mord vor, hieß es in der Urteilsbegründung. Da die Ehefrau zu keiner Aussage bereit war, "wissen wir überhaupt nicht, was in der Wohnung vorgefallen ist", sagte der Richter. Man müsse daher den Angaben des Angeklagten folgen, für den im Hinblick auf seine Herkunft eine Scheidung eine gleichermaßen begreifliche wie heftige Gemütsbewegung auslösen könne. Das erkennende Gericht betonte, diese Entscheidung sei durch höchstrichterliche Judikatur gedeckt.

Der 46-Jährige wurde folglich wegen versuchten Totschlags zu sechs Jahren Haft verurteilt. Der Staatsanwalt, der für eine Strafe "im oberen Viertel" - der Strafrahmen von Totschlag beträgt maximal zehn Jahre - plädiert hatte, meldete daraufhin Strafberufung an. Das Urteil ist nicht rechtskräftig. Für versuchten Mord sieht die Rechtsordnung zehn bis 20 Jahre oder lebenslang vor.

SPÖ-Frauensprecherin: Verharmlosung ist unerträglich

"Es ist unerträglich, wie die österreichische Justiz immer wieder schrecklichste Gewalttaten von Männern an Frauen, die sich von ihnen trennen wollen, verharmlost und die Opfer mit ihren Urteilen verhöhnt", zeigte sich SPÖ-Frauensprecherin Gisela Wurm in einer Aussendung empört. Mit der gegenständlichen Entscheidung suggeriere die Justiz "geradezu Verständnis, dass auf einen Trennungswillen der Frau eine Gewalttat des Mannes folgt".

Wie Wurm betonten auch Alev Korun und Judith Schwentner, Menschenrechtssprecherin bzw. Frauensprecherin der Grünen, es sei unzulässig, Dutzende Messerstiche in den Kopf und die anschließende Attacke mit einem Stahlrohr gegenüber einer scheidungswilligen Frau im Hinblick auf die ethnische Herkunft des Gewalttäters als "kulturbedingte Affekthandlung" zu beurteilen.

"Migranten-Herkunft als Milderungs- oder gar Entschuldigungsgrund bei Gewalt gegen Frauen seitens eines Gerichts anzuführen, widerspricht dem Grundsatz, Menschen gleichen rechtlichen Schutz zu gewähren. In Österreich lebende Menschen haben unabhängig von ihrer Herkunft das Recht, nach österreichischem Recht geschützt und bestraft zu werden", stellten die Grün-Politikerinnen fest. (APA)