Kunst macht Arbeit: Yolande Moreau verkörpert in Martin Provosts "Séraphine" die gleichnamige Malerin mit Nachdruck.

Foto: Filmladen

Wien - Séraphine von Martin Provost ist zuerst einmal ein Frauenporträt. Der Film steigt an jenem Punkt in den 1910er-Jahren in eine Lebensgeschichte ein, als der deutsche Kunstsammler Wilhelm Uhde (Ulrich Tukur) zufällig auf Séraphines Arbeiten aufmerksam wird. Bei Arbeitgeberinnen und Nachbarn genießt die Dienstmagd geringes Ansehen. Für diese ist sie eine wunderliche Frau, ein simples Gemüt, im Zweifelsfall macht man sich über sie lustig. Der Film hingegen entwirft Séraphine als Einzelgängerin, die mit Sturheit und Kalkül nach ihren Vorstellungen lebt - wohl wissend, dass sie damit gesellschaftliche Verhaltensregeln überschreitet.

Heute gilt Séraphine Louis (1864-1942), auch als Séraphine de Senlis bekannt, mit ihren großformatigen wild wuchernden Pflanzen-und-Getier-Bildern als eine wichtige Vertreterin der französischen "Primitiven" . Einem größeren Publikum war sie allerdings vor der Verfilmung ihrer Lebensgeschichte wohl auch in ihrer Heimat nicht bekannt.

Dort kam Martin Provosts Film 2008 ins Kino und konnte sich trotz der damals alle überbietenden Ch'tis beim Publikum behaupten. Im vergangenen Jahr wurde er dann noch mit sieben Césars (dem wichtigsten französischen Filmpreis) ausgezeichnet. Einer galt der "besten Musik" - und möglicherweise auch dem Umgang mit dieser: Die Originalkompositionen von Michael Galasso kommen im Film sehr sparsam, aber dafür umso prägnanter zum Einsatz.Über weite Strecken dominieren O-Töne die Tonspur.

Provost erzählt die Geschichte der Séraphine auch sonst nicht den handelsüblichen Verfahren entsprechend. Man hätte leicht ein sentimentales, küchenpsychologisch ausgekleidetes Drama daraus machen können (Genie und Wahnsinn, "rise and fall"). Aber Provost hat sich glücklicherweise für einen materialistischen Zugang entschieden. Das bezieht sich auf Materialien und Körper ebenso wie auf die Ökonomie beziehungsweise den Zusammenhang zwischen beiden: Man sieht die Protagonistin einerseits mit physischem Einsatz hart für ihr Auskommen arbeiten und andererseits auch auf einer Wiese die Röcke lüpfen und im Stehen pissen oder auf einen Baum klettern, um ihr Blickfeld zu erweitern.

Ganz wesentlich ist die Hauptdarstellerin, die belgische Schauspielerin Yolande Moreau gefordert (für ihre Leistung ebenfalls César-gekrönt). Sie gibt ihrer Figur einen Körper, eine gespannte Haltung, eine ganz spezifische Art zu gehen und zu schauen: mit einem festen Blick, der aufnimmt und ausschließt und irgendwann dann mehr projiziert als wahrnimmt.

Nicht erst in Zusammenhang mit Séraphines wahnhaften Zuständen geht es im Film um das komplizierte Verhältnis von Entdeckung und Förderer. Auch hier vermeidet Provost einfache Hierarchien und Schuldzuweisungen. Alle sind immer schon eingespannt in größere Zusammenhänge. Keine neue Erkenntnis, aber ein insgesamt fesselnder Film. (Isabella Reicher, DER STANDARD/Printausgabe, 16./17.01.2010)