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Selbst der Friedhof von Port-au-Prince liegt unter Schutt.

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In der Hauptstadt wurden am Freitag noch Überlebende, darunter Kinder, geborgen.

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 Es wird immer mehr geplündert.

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Tag drei nach dem Erdbeben in Haiti. Nach wie vor läuft die Hilfe für das Katastrophengebiet schleppend. In der Bevölkerung machen sich Wut und Hoffnungslosigkeit breit. Während die Menschen in den Straßen von Port-au-Prince am Freitag weiter mit bloßen Händen nach Opfern gruben, standen internationale Rettungsteams vor massiven logistischen Problemen.

"Wenn die internationale Hilfe nicht kommt, wird sich die Lage schnell verschlimmern", sagte ein Überlebender in der haitianischen Hauptstadt. "Wir brauchen dringend Wasser und Lebensmittel." Ein anderer klagte: "Wir hören im Radio, dass Rettungsteams von außen kommen, aber nichts kommt." Laut Weltgesundheitsorganisation werden zudem dringend Leichensäcke gebraucht. Nach Schätzungen des Roten Kreuzes kamen bis zu 50.000 Menschen ums Leben. Jean Robert Saget, haitianischer Botschafter in Deutschland, vermutet auch mehrere Minister unter den Toten.

40.000 Tote bestattet

Offiziellen Angaben zufolge sind bis zu 140.000, nach anderen Schätzungen sogar 200.000 Menschen ums Leben gekommen. Dies teilte die Regierung in Port-au-Prince am Freitag mit. Etwa 40.000 Leichen seien bereits bestattet worden, sagte der für die Innere Sicherheit zuständige Minister Aramick Louis der Nachrichtenagentur Reuters am Freitag. Weitere 100.000 Tote würden noch unter den Trümmern befürchtet. Die größte Sorge der Regierung sei ein Anstieg der Gewalt. Es würden immer mehr Straßenbanden durch die verwüstete Hauptstadt Port-au-Prince ziehen. Die anfängliche Solidarität unter den Überlebenden würde langsam schwinden, es drohe Anarchie.

"Wir sammeln die Leichen in den Straßen auf und packen sie in Massengräber", sagte Louis zu Reuters. "Wir haben 40.000 Menschen beerdigt. Wir denken, dass noch einmal 100.000 weitere dazukommen werden." Der Innenminister Paul Antoine Bien-Aime hält sogar einen Anstieg der Opferzahlen auf 200.000 für möglich.

Zahlreiche Menschen seien immer noch unter den Trümmern begraben, sagte Louis. Da vielerorts immer noch keine Hilfe eingetroffen sei, drohe die Stimmung immer mehr zu kippen. "Wir schicken Polizisten in die Gegenden, wo Banden unterwegs sind. Einige Leute plündern und stehlen", sagte der Minister. "In den Notunterkünften werden die Leute wütend, wenn sie sehen, dass sie dort keine ärztliche Versorgung und keine Lebensmittel bekommen."

"Nicht einmal ein Wattebausch"

Gesundheitsminister Alex Larson sagte der Nachrichtenagentur Reuters, große Teile der Hauptstadt seien verwüstet. "Dreiviertel von Port-au-Prince muss wieder neu aufgebaut werden", sagte Larson. Auf die Frage, wie gut die Regierung ausgerüstet sei, sagte der Gesundheitsminister: "Ich habe nicht einmal einen Wattebausch." Die Regierung warte auf die medizinischen Hilfslieferungen aus dem Ausland. "Einige Hilfsgüter sind bereits angekommen und wir sind sehr dankbar."

Nach wie vor gelten mehrere Österreicher, die in Haiti gemeldet waren, als vermisst. Dem Vernehmen nach sollen es bis zu zehn Personen sein. Es sei aber völlig unklar, ob sich diese während der Naturkatastrophe im betroffenen Gebiet aufgehalten hätten, hieß es am Freitag im Außenministerium. Eine gebürtige Grazerin ist, wie berichtet, unter den Toten.

Immer wieder waren am Freitag in den Straßen von Port-au-Prince auch Schüsse zu hören, Augenzeugen berichteten von ersten Plünderungen. Tumulte brachen aus, als ein Hubschrauber Nahrungsmittel über der Stadt abwarf.

Am Flughafen von Port-au-Prince traf am Freitag zwar im Minutentakt internationale Hilfe ein, massive logistische Probleme erschwerten jedoch die Arbeit. Infrastruktur und das Kommunikationsnetz wurden beinahe völlig zerstört, es gab kaum Ansprechpartner, und viele Rettungsteams saßen am Flughafen oder auf dem Weg nach Port-au-Prince fest. Der Luftraum über Haiti war am Freitag überfüllt.

Überlebende geborgen

Andere, die vor Ort sind, fürchten um ihre Sicherheit. Unter widrigen Umständen bargen dominikanische Retter am Donnerstag 17 Überlebende aus den Trümmern. Sobald die Helfer auftauchen, werden sie sofort von verzweifelten Männer und Frauen umringt, die Verletzte zu ihnen bringen. Beim Bergen von Erdbebenopfern war auch der nahe Port-au-Prince geborene US-Rapper Wyclef Jean im Einsatz. Er beschrieb die Lage als "apokalyptisch".

Nach UN-Angaben sind in Haiti rund 3,5 Millionen Menschen von dem Erdbeben betroffen. Etwa 300.000 Menschen seien obdachlos. An großen Plätzen der Stadt errichteten Überlebende provisorische Lager, wo sie beteten und sangen. Die Uno will im nationalen Fußballstadion des Landes ein Lazarett errichten. Medizinische Versorgung ist knapp.

Die internationale Gemeinschaft sagte bisher rund 186,3 Millionen Euro an Hilfen zu. Die Weltbank will mit ihren Geberländern einen Fonds für die langfristige Hilfe beim Wiederaufbau des Landes einrichten.

Brasiliens Außenministerium hat angeboten, einen Friedhof für tausende Erdbeben-Tote in Haiti zu errichten. Dabei werde auf die in dem Karibikstaat weitverbreitete Voodoo-Religion Rücksicht genommen werden. (AFP, APA, dpa, spri, DER STANDARD Printausgabe, 16./17.01.2010)