Foto: Wolfgang Weisgram/Der Standard

Standard: Eberau hat Österreich gerade über Weihnachten eine hitzige Debatte beschert, die ein Kernthema der Kirche betrifft: Herbergssuche. Die Kirche hat sich aber auffallend zurückgehalten. Warum?

Mmagu: Das kann ich nicht beantworten, weil ich für Medien nicht zuständig bin. Aber es ist klar: Wenn solche sozialen Frage auftauchen, sollte auch die Kirche Stellung nehmen. Und sie tut das ja. Mir gefällt etwa, wie Caritas-Direktor Landau oder Franz Küberl das machen. Man muss Farbe bekennen als Kirche, gerade weil es um Menschen geht, um eine Kultur des Umgangs mit Menschen in ganz konkreten, existenziellen Situationen. Das kann der Kirche nicht gleichgültig sein. Aber warum gerade in dieser Situation eine deutliche Stellungnahme nicht wirklich präsent war, das kann ich nicht sagen.

Standard: Sie sind Pfarrer in Großpetersdorf, fast einer Nachbargemeinde von Eberau. Ist dieses Thema präsent in Ihrer Pfarre?

Mmagu: Ich weiß nicht, wie viel darüber wirklich geredet wird. Parteipolitik kann viel vertuschen. In den eigenen Reihen wird dann anders gesprochen als draußen. Aber die meisten, mit denen ich gesprochen habe, sagen, dass der Bürgermeister von Eberau eine falsche, undemokratische Strategie gehabt hat. Denn was ist das für eine Demokratie, wenn Menschen nicht informiert wurden, und dann erwartet man, dass alles glatt vor sich geht. Und dann - Entschuldigung, aber ich will das unbedingt sagen - ist das Resultat der Diskussion zwischen Verteidigungsminister Darabos und Innenministerin Fekter, dass sie unverschämt ankündigt, diese Menschen einzusperren. Und das von jemand, der sich christdemokratisch nennt! Das ist nicht nur peinlich. Das ist eine Äußerung, für die sie sich im Normalfall entschuldigen müsste. Über den Vorschlag der Innenministerin haben bei uns einige den Kopf geschüttelt.

Standard: Was hätte anders laufen müssen?

Mmagu: Die Menschen, die hier wohnen, haben auch Angst. Die meisten sind ja weg, nur ältere Personen leben untertags im Ort. Was wäre falsch daran gewesen, dass die Ministerin, der Landeshauptmann, der Bürgermeister, der Bezirkshauptmann die Menschen gemeinsam informieren? Und zwar vorbauend. Und um Angst zu nehmen.

Standard: Das wäre erfolgversprechend gewesen?

Mmagu: Das weiß ich nicht, immerhin ist es ein Wahljahr. Aber der Versuch hätte sich gelohnt. Da hätten sich die Politiker und Politikerinnen ein Stück ernster genommen. Hätten aber auch die Menschen dort ernster genommen. Und hätten vor allem die Sache in den Mittelpunkt gestellt und nicht die eigenen Interessen. Interessensvertretung ist gut, aber nicht, wenn es um konkrete Menschen geht.

Standard: Sie sind Beauftragter der Bischofskonferenz für Roma und Sinti, aber auch für Integration im weiteren Sinn. Integration ist auch so ein heißes Diskussionsthema. Was ist für Sie Integration?

Mmagu: Ich bin geschichtsempfindlich. Wenn Integration Assimilation heißen würde, dann sage ich: Stopp! Denn das haben in der Kolonialgeschichte die Franzosen in Afrika gemacht. Für mich bedeutet Integration vor allem Kommunikation. Martin Buber nannte das: Begegnungsräume schaffen. Was meint man also, wenn man Integration sagt? Soll einer, der nach Österreich kommt, die eigene Identität aufgeben? Oder bei den Muslimen: Sollen sie ihre Religion aufgeben, weil Österreich sich immer mehr säkularisiert? Integration wäre, unter der Bewahrung der eigenen Identität das Gute im Land wertschätzen, also die Gesetzesordnung, die sozialen und kulturellen Gegebenheiten wahrnehmen. Umgekehrt heißt Integration aber auch, dass man von den neu Dazugekommenen lernt. Es wird ja immer noch so getan, als wäre Europa die Mitte der Welt. Aber dieser Traum ist längst ausgeträumt.

Standard: Eberau als Erstaufnahmezentrum wäre wohl kein „Begegnungsraum" gewesen. Aber es gibt auch hier genügend Orte, wo Flüchtlinge untergebracht sind. Wird diesen Menschen hier "begegnet" oder werden sie abgelehnt?

Mmagu: Ich kann das nicht kategorisch Ablehnung nennen, eher Unsicherheit, Angst, auch existenzielle Angst: Wir müssen jetzt möglicherweise Arbeitsplätze teilen. Was viele Burgenländer vergessen, ist, dass das größere Burgenland ja in Chicago ist. Österreich hatte nach dem Krieg den Marshall-Plan, viele sind dennoch ausgewandert, um eine bessere Existenz aufzubauen. Jetzt soll das nicht mehr möglich sein? Begegnungen sind aber auch schwer. Da sitzen die Asylsuchenden in ihren Gasthäusern, abgeschnitten, wir sind ja sowieso sehr schlecht bedient im Südburgenland mit Verkehrsanbindung. Ob gerade Eberau da ein richtiger Ort ist, das frage ich mich schon. Es wäre ja wieder eine Abkapselung, eine Abschiebung in eine Gegend, in der sich nicht viel tut. Eigentlich ist das eine Einladung zur Depression.

Standard: Sie praktizieren auch als Psychotherapeut. Sind Sie da mit Asylwerbern konfrontiert?

Mmagu: Ja, schon. Das ist eine sehr lehrreiche Erfahrung. Diese Menschen sind ja bedroht. Zum teil depressiv, teils psychotisch, haben Traumatisierungen, sind zum Teil sogar suizidal. Es ist vielfältig. Diese Menschen auch auf dieser Schiene zu betreuen, wäre für mich eine sinnvolle politische Strategie, eventuell konsensual mit der Kirche, oder besser: den Kirchen. Denn das ist ja die zentrale Frage, Asyl hin oder her: Wie gehen wir mit Menschen um? Sie haben vorher die Herbergssuche erwähnt. Das ist nicht nur ein kirchliches Thema, das ist ein Lebensthema.

Standard: Haben Sie den Eindruck, dass gerade bei diesem Thema es in den vergangenen zehn, zwanzig Jahren zu einer Verschärfung gekommen ist?

Mmagu: Ja. Und ich glaube, das haben sich die beiden Großparteien selber zu verdanken. Die haben geschlafen. Sie haben so Haider - Gott gebe ihm die ewige Ruhe - erlaubt, Dinge zu inszenieren, die anstößig waren. Und jetzt kommt Strache, da tauchen eindeutige Bilder auf, und es heißt: Jugendtorheit. Und so einer strebt ein Amt in Österreich an. Da muss ich sagen: Hoppala, was ist wirklich die Sozialphilosophie in Österreich?

Standard: Waren Sie selbst je mit Fremdenfeindlichkeit und Rassismus konfrontiert?

Mmagu: Ja, schon. Aber ich möchte es nicht übertreiben, weil ich setze mich ja zur Wehr. Nur ein Beispiel: Ich wurde mit dem Auto aufgehalten, weil ich zu schnell unterwegs war. Aber statt mich abzumahnen oder zu bestrafen, hat der Polizist geschimpft: "So fährt man nicht in Österreich, verschwinden Sie nach Afrika!" Oder auch hier in der Gegend. Da hat mich einmal ein junger Polizist aufgehalten und gefragt: "Sind Sie sicher, dass das Ihr Auto ist?" Dann ist sein älterer Kollege dazugekommen und sagte: "Ah, Herr Pfarrer, Sie sind das." Der Junge hat sich daraufhin entschuldig, aber ich habe geantwortet: "Ich nehme die Entschuldigung nicht an, denn wenn Sie einem anonymen Afrikaner so begegnen, geben Sie auch mir als Pfarrer keinen Respekt."

Standard: Sie sind als Pfarrer eine Autoritätsperson, die den Gemeindemitgliedern zuweilen die Leviten lesen muss. Tun Sie das auch in so einem Zusammenhang.

Mmagu: Ich lese niemandem die Leviten. Aber ich muss deutlich Dinge beim Namen nennen. Meine Aufgabe ist es, Menschen aufzubauen, ihnen Mut zuzusprechen. Aber nicht einen egoistischen Mut, sodass sie nur auf sich schauen, sondern dass sie die Welt wahrnehmen, wie sie ist. Das mache ich zum Thema. Und die Menschen wissen, dass es dabei nicht um mich geht, ich könnte ja auch einen anderen Job annehmen. Aber ich bin gerne Priester. Und da habe ich Menschen in der Kirche, denen ich sagen muss: Was ist der Geist Jesu? In welcher Welt leben wir? Was ist eure Verantwortung?

Standard: Haben Sie zum Thema Eberau schon gepredigt?

Mmagu: So richtig noch nicht, weil ich die Fakten noch nicht gehabt habe. Aber das werde ich. Das Grundthema ist ja, dass es in der Politik nicht auf Kosten der Menschenwürde gehen darf. Ich habe keine Scheu, solche Dinge anzusprechen. (Wolfgang Weisgram, DER STANDARD Printausgabe, 16./17.01.2010)