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Die vom Politik-Chaos frustrierten Bürger glauben nicht, dass ihre Stimme etwas an der Situation ändern kann.

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Unermüdlich ziehen die Eisläufer auf dem Kiewer Maidan ihre Runden. Weder der eisige Wind noch das Schneetreiben oder der 80er-Hit "You're my heart, You're my soul", der gerade aus den Lautsprechern dröhnt, können sie davon abhalten. Unbeirrt bewegen sie sich auf dem von einer Kaffeemarke gesponserten Eisfläche im Kreis.

An der Bande des Eislaufplatzes auf dem Unabhängigkeitsplatz steht Sergej, ein selbstständiger Baumeister aus der Westukraine, und wartet auf seine Freundin. Zu der Präsidentenwahl am Sonntag wird der 38-Jährige nicht gehen. "Es ändert sich ja doch nichts, und wenn, dann sicherlich nur zum Schlechteren und nicht zum Besseren" , meint Sergej und gräbt seine Hände noch tiefer in die Taschen. Seit der Orangen Revolution im Jahr 2004 habe sich auch die ukrainische Politik nur noch im Kreis bewegt.

Taxiunternehmer Oleg weiß auch, warum das so ist: "Unser Land wird von der Mafia regiert. Unsere Politiker sind alle gekauft." Die Abgeordneten würden nicht die Interessen der Bevölkerung vertreten, sondern nur die Interessen einiger weniger.

Es ist kein Geheimnis, dass der Wahlkampf der Präsidentschaftskandidaten von den ukrainischen Oligarchen finanziert wird. Hinter Wiktor Janukowitsch, dem Kandidaten der Partei der Regionen, stehe die gesamte Industrie, sagt die Pensionistin Vita stolz. Seit Dezember steht sie in einem kleinen blauen Zelt beim Goldenen Tor und verteilt Wahlbroschüren, Kugelschreiber mit der Aufschrift "Janukowitsch - unser Präsident" und CDs mit ukrainischen Volksliedern.

"Wir hoffen, dass Janukowitsch gewinnt, denn er wird uns von der Abhängigkeit vom Internationalen Währungsfonds befreien" , sagt Vita. Nur mit dem IWF-Kredit sei es möglich, den völlig überzogenen Gaspreis zu zahlen, den Regierungschefin Julia Timoschenko mit dem russischen Premier Wladimir Putin ausgehandelt hat. Janukowitsch werde seinen guten Draht nach Moskau nutzen, um einen besseren Gasvertrag zu schließen, ist Vita überzeugt.

"Aber was. Nichts wird sich ändern, solange immer die selben Leute an der Macht sind. Unsere Politiker verdienen 30.000 Hrywnia (rund 2550 Euro), wir Arbeiter bekommen höchstens 3000 Hrywnia (rund 255 Euro) Pension" , ärgert sich Olga, eine pensionierte Restauratorin. Ihre Tochter, eine Englischlehrerin, verdiene im Monat sogar nur 800 Hrywnia (rund 68 Euro).

Kleine Sowjet-Nostalgie

"Es ist halt momentan nicht mehr Geld da" , versucht die Janukowitsch-Anhängerin Vita die in Rage geratene Pensionistin zu besänftigen. "Ach so? Und was ist mit diesem ganzen Papier, den Kulis und dem anderen Kram? Hat das etwa nichts gekostet?" , schnaubt die 67-jährige Olga und zeigt auf die Wahlkampfgeschenke. Mit den Worten "Sogar zu Zeiten der Sowjetunion lebten wir besser" macht sich Olga schließlich wütend davon.

Fünf Jahre nach der Orangen Revolution, von der sich die Ukrainer nicht nur eine funktionierende Demokratie, sondern auch ein besseres Leben erwarteten, sind die meisten Bürger frustriert und desillusioniert. 25 Prozent der Ukrainer wüssten zwei Tage vor der Präsidentenwahl noch nicht, wen sie denn wählen sollen, sagt Wiktor Neboschenko, Direktor des Meinungsforschungsinstituts Ukrainski Barometr.

Für die Schwestern Julia und Anna kommt nur ein neues Gesicht infrage - der 35-jährige Arsenij Jazeniuk. "Damit sich etwas ändert, müssen neue, junge Leute ans Ruder" , sagt die 24-jährige Anna, Officemanagerin bei einer internationalen Firma.

Und die 22-jährige Julia, die in einer Bank arbeitet, hat auch genaue Vorstellungen, was sich in der Ukraine ändern müsste: "Das Steuersystem gehört vereinfacht, damit mehr Leute Steuern zahlen, und dann muss man einen Pensionsfonds einführen." Ihre Schwester pflichtet bei: "Damit wir zumindest wissen, wohin unser Steuergeld verschwindet." (Verena Diethelm aus Kiew/DER STANDARD, Printausgabe, 16.1.2010)