Die Enkel der damaligen Protagonisten im O-Ton, aufgezeichnet von Sandra Weiss.

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Ich heiße Augusto Pinochet Molina, bin 36 Jahre alt, geschieden, und arbeite in der Verwaltung des Stadtteils Providencia von Santiago de Chile. Bekannt wurde ich durch eine Rede beim Begräbnis meines Großvaters, nach der man mir vorwarf, dass ich sein Erbe verteidige, und ich wurde deshalb aus den Streitkräften entlassen, in denen ich den Rang eines Hauptmanns bekleidete. An den Putsch erinnere ich mich nicht, ich war gerade geboren und wuchs in den USA auf. In meiner Familie war das nie ein Thema. Mein Großvater war eine zentrale Respektsperson, seit seinem Tod hält die Familie nicht mehr so zusammen, es gibt mehr Konflikte. Es war schwierig, mit ihm zu diskutieren, er hatte eine sehr rigide Weltanschauung, und ich war nicht in allem mit ihm einverstanden.

Revanchistische Tendenzen

Als ich 1986 nach Chile zurückkehrte, war die Lage sehr angespannt, aber die Wirtschaft boomte und wuchs um sechs, sieben Prozent pro Jahr. Natürlich hat mein Nachname zu vielen Vorurteilen über meine Person führt. Aber ich bin nicht verantwortlich für das, was mein Großvater gemacht hat. Das Land war damals polarisiert, die Menschen hassten sich, es gab keine Toleranz für Andersdenkende. Bis heute gibt es diese Gräben noch, aber inzwischen herrscht mehr Toleranz, man kann über die Dinge offener sprechen.

Was ich problematisch finde, ist, dass man manche, die Verbrechen begingen, nicht verfolgte, mit der Begründung, dass man damit dem "Feind" ein Hintertürchen öffnen würde. Aber das hing eben mit dem damaligen politischen Klima zusammen. Später hat sich das gebessert. Ich finde allerdings, dass die Concertación (das seit 1990 regierende Mitte-links-Bündnis) bei der Aufarbeitung der Vergangenheit übertrieben hat. Aus politischem Kalkül wurden Prozesse oft übereilt durchgefühlt und dabei auch Menschenrechte verletzt. Chile ist bis heute polarisiert, und daran ist die Regierung schuld.

Es gab eine Neigung zu Revanchismus. Gerade auch im Fall meines Großvaters. Ich denke schon, dass er den Menschen für gewisse Dinge, die sich während seiner Amtszeit ereignet haben, Rechenschaft schuldete. Er war aber seit seinem Abtritt in der Defensive. Und irgendwann gelangte er an einen Punkt, an dem er aus Altersgründen nicht mehr konnte. Da hätte man ein wenig mehr Nachsicht walten lassen können. Einen Greis, der am Boden liegt, mit Füßen zu treten, ist hässlich, auch wenn man im Recht ist.

Ich mache mir große Sorgen um die Zukunft Chiles. Die Politiker bauschen den Staat immer mehr auf, und die Wirtschaft wächst nur noch schleppend. Es gibt immer mehr Kontrollen, immer mehr Sozialhilfeprogramme, alles ist politisiert, und nicht immer kommen die Besten zum Zug. Vom chilenischen Modell profitieren nur die Großunternehmen und die Banken, die haben die Beute unter sich aufgeteilt. Kleine und mittlere Betriebe, die eigentlich die Arbeitsplätze schaffen, und die Angestellten der Mittelschicht haben die größte Last an Steuern und Bürokratie zu tragen.

Klar muss man solidarisch sein im Leben, aber das ist nicht die Aufgabe der Regierung, sondern jedes Einzelnen. Ich zum Beispiel gebe Bettlern immer Geld, beteilige mich an Wohlfahrtsveranstaltungen und kümmere mich um das Wohlergehen meiner Untergebenen. Für mich sind Steuern Diebstahl. Die Gelder werden für tausende Dinge ausgegeben, die nicht essenziell sind, Gipfeltreffen und überzogene Abgeordnetendiäten beispielsweise.

Mit meiner Auffassung stehe ich ziemlich alleine da, deshalb bin ich in Chile ein politisches Waisenkind. Ich fühle mich von keinem Politiker repräsentiert, auch wenn mir die UDI (ultrarechte pinochetistische Partei) eine Kandidatur angeboten hat. Ich habe abgelehnt. Mein Großvater hat sich mit gewissen Leuten umgeben, mit denen ich überhaupt nicht sympathisiere. Sie segeln unter seiner Flagge, sind aber Freibeuter.

 

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Ich heiße Gonzalo Meza Allende, bin 44 Jahre alt und arbeite als politischer Consultant. Ich bin der älteste Enkel Allendes. An seine Regierungszeit erinnere ich mich nur noch bruchstückhaft, aber an ihn als Person noch sehr gut. Er war sehr beschäftigt, aber ein liebenswürdiger Opa, der seine Enkel verwöhnte. Ich glaube, ich war etwas Besonderes für ihn, denn er selbst hatte drei Töchter, und ich war in gewisser Weise der erste männliche Nachfahr. Manchmal spielte er mit mir Schach oder ging mit mir segeln. Einmal nahm er mich auf einen Hubschrauberflug mit. Zum siebten Geburtstag bekam ich von ihm ein Pferd, das hat mich sehr beeindruckt.

Nie vergessen werde ich den Tag des Putsches. Frühmorgens hat mich die Putzfrau ins Haus sozialistischer Sympathisanten im Süden Santiagos gebracht. Ich war sehr verwirrt und traurig. Dann kam meine Familie nach. Erst haben sie mir nicht gesagt, was passiert war. Erst später sah ich die Fernsehbilder von der Bombardierung des Präsidentenpalastes, und dann sagte mir meine Familie auch, dass mein Großvater tot war. Am 15. September 1973 nachts flog dann die ganze Familie nach Mexiko aus. Im Exil bin ich mit der Politik vertraut geworden. In unserem Haus fanden ständig politische Gespräche und Begegnungen statt.

Dialog statt Konfrontation

1983 wurde mein Einreiseverbot aufgehoben, und ich durfte nach Chile zurückkehren. Es war die Zeit der ersten großen Proteste gegen die Diktatur, und ich war aktiv dabei. Zwölf Jahre lang habe ich die Concertación unterstützt, sei es als Berater, Funktionär oder Stadtrat. Jetzt habe ich mich distanziert vom politischen Alltagsgeschäft. Die Parteien sind sehr widersprüchlich, und Politiker, die eigentlich an einem Strang ziehen sollten, bekriegen sich gegenseitig nur wegen eines Postens. Außerdem überzeugt mich keine Partei mit ihrem Programm. Daher arbeite ich jetzt lieber an der Basis, mit Leuten, die eine konstruktive Alternative zum derzeitigen neoliberalen Modell suchen. Das finde ich vielversprechender.

Ich finde nicht nur das neoliberale Wirtschaftsmodell fragwürdig, sondern die Philosophie, die ihm zugrunde liegt. Also die Idee, dass es immer 20 Prozent Reiche und 80 Prozent Arme geben wird und dass man miteinander in Wettstreit treten muss, um besser zu sein und aufzusteigen. Dass Arbeitskraft als Kostenfaktor gesehen wird. In so einem Modell gehen Werte wie Solidarität und Kooperation völlig unter. Das ist eine perverse Logik, in der sich alles nur um den Wohlstand dreht, darum, was man besitzt. Die Mittel- und Unterschicht hat in dem Modell nur zwei Möglichkeiten: Konsumverzicht oder Verschuldung. Der durchschnittliche Chilene schuldet drei Monatslöhne und lebt entsprechend in Angst und Sorge. Das ist für die Menschheit sehr schädlich. Leider hat die Concertación dieses von Pinochet eingeführte Modell genauso übernommen.

Ich denke, diesbezüglich war mein Großvater sehr avantgardistisch. Während seiner Regierungszeit war das Pro-Kopf-Einkommen in Chile so hoch wie niemals vorher und niemals nachher, die soziale Schere war damals kleiner als heute. Leider wurde das im damaligen Kontext des Kalten Krieges vom Ausland nicht so verstanden. US-Präsident Richard Nixon sah in Chile nur die kommunistische Bedrohung, er differenzierte nicht. Diese Schwarz-Weiß-Malerei wirkt bis heute nach. Das Prinzip sozialer Gerechtigkeit, nach dem sich mein Großvater richtete, ist weiterhin eine gültige Richtschnur. Natürlich war nicht alles toll an seinem Modell. Ich denke, man muss von allem das Beste nehmen, um das Land voranzubringen, etwa die Dezentralisierung aus Deutschland oder die plebiszitären Elemente aus Venezuela.

Gefühle wie Hass liegen mir fern. Daher habe ich auch vor ein paar Jahren im Fernsehen mit einer Enkelin Pinochets debattiert. Damit wollte ich zeigen, dass man über seinen Schatten springen kann und dass ein Dialog immer zukunftsweisender ist als sterile Konfrontationen aus der Vergangenheit. Wir haben beide keine Verantwortung für die Taten unserer Großväter. Wenn die Menschen mehr auf ihre Gemeinsamkeiten blicken würden als auf das, was sie trennt, kämen wir viel eher voran. (DER STANDARD, Printausgabe, 16.1.2010)