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Die Polizei verhaftet Plünderer im zerstörten Zentrum von Port-au-Prince

Foto: Reuters/Barria

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US-Miliär entlädt erste Nahrungmittellieferungen in Port-au-Prince.

Foto: EPA/Navy Visual News Service

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Kleines Wunder: Das 16 Monate alte Mädchen konnte aus den Trümmern in Port-au-Prince geborgen werden.

Foto: AP Photo/Channel 7

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Belgisches Rettungsteam im Einsatz in Port-au-Prince.

AP Photo/The Miami Herald, Patrick Farrell

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Auch Wasser ist längst kostbares Gut.

Foto: AP Photo/Julie Jacobson

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Überlebende hausen in provisorischen Zelten auf einem Fußballfeld in Port-au-Prince.

Foto: AP Photo/Gregory Bull)

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Israelische und mexikanische Ärzte bei der Erstversorgung eines Bebenopfers.

Foto: AP Photo/Alfred de Montesquiou

Port-au-Prince - Nach dem verheerenden Erdbeben in Haiti ist es zu ersten größeren Zusammenstößen von Plünderern gekommen. In einer ehemaligen Einkaufsstraße der Hauptstadt Port-au-Prince habe sich ein Mob von etwa 1000 Menschen gebildet, berichtete der Reuters-Fotograf Carlos Barria am Samstag. Die Männer kämpften um Alltagsgegenstände wie T-Shirt und Spielzeuge, die verstreut in den Trümmern der zerstörten Läden lägen. Die Plünderer gingen dabei auch mit Steinen, Messern und Spitzhacken aufeinander los. "Da herrscht jetzt Anarchie, das totale Chaos. Die Polizei ist längst weg", sagte Barria. "Sie schlagen sich und bewerfen sich mit Steinen." Auch aus anderen Teilen der Hauptstadt berichteten Augenzeugen von ähnlich gewaltsamen Plünderungen.

Wegen der Gewaltausbrüche und der schlechten Versorgungslage ergriffen tausende Einwohner der Hauptstadt die Flucht. Auf den Hauptstraßen bildete sich ein Exodus von Hungernden und Verletzten. Das Erdbeben hat in den ländlichen Gegenden weitaus weniger Schäden angerichtet als im dicht bebauten Port-au-Prince. Viele Hauptstadtbewohner versuchen daher nun, bei ihren Verwandten auf dem Land unterzukommen.

Gesamte MINUSTAH-Führung getötet

UNO-Generalsekretär Ban Ki-Moon hat bestätigt, dass bei dem Erdbeben der Chef der UNO-Mission (MINUSTAH), Hedi Annabi, und dessen brasilianischer Stellvertreter ums Leben gekommen sind. "Ich bin tieftraurig, dass ich den tragischen Tod meines Sondergesandten in Haiti, Hedi Annabi, bestätigen muss", erklärte Ban am Samstag in New York. Auch der Tod von Annabis Stellvertreter Luiz Carlos da Costa und des UNO-Polizeichefs in Haiti, des Kanadiers Doug Coates, ist nunmehr bestätigt. Ihre Leichen wurden in den Trümmern des zerstörten UNO-Hauptquartiers in Port-au-Prince gefunden.

Schwierige Identifizierungen

Auch Tage nach der Erdbebenkatastrophe liegen noch zahlreiche Todesopfer in den Straßen der Hauptstadt Port-au-Prince. Alle nach den gängigen Methoden zweifelsfrei zu identifizieren dürfte den örtlichen Behörden trotz internationaler Hilfe kaum möglich sein. Angesichts der hohen Opferzahl und der schnell voranschreitenden Verwesung ist die Identifizierung der Toten eine kaum zu bewältigende Mammutaufgabe.

Für gewöhnlich versuchen Ermittler, Fingerabdrücke von den Opfern zu nehmen oder nach persönlichen Gegenständen wie Ausweisen oder Schmuck zu suchen. Auch besondere Merkmale wie Operationsnarben gehören zu den geeigneten Merkmalen für eine Identifizierung. Finden die Spezialisten wegen des Grads der Verletzungen solche Merkmale nicht, erstellen sie für gewöhnlich einen Zahnstatus. Um einen Toten über sein Gebiss zu identifizieren, müssen allerdings Zahnarztunterlagen oder Röntgenbilder vorliegen. Diese dürften nach dem Erdbeben in Haiti schwer auffindbar sein - wenn es sie denn überhaupt gibt.

Das zeitaufwendigste und kostspieligste Mittel zur Identifizierung ist die DNA-Analyse. Mit einer Genprobe kann ein Opfer identifiziert werden - allerdings nur, wenn Vergleichsmaterial vorliegt.

Ab Montag sollen in Haiti Experten der internationalen Polizeibehörde Interpol bei der Identifizierung von Toten helfen. Das Team will nach Angaben der Behörde zudem versuchen, Meldungen über vermisste Menschen zu sammeln und in einer Datenbank zu bündeln. Letzteres hatte Interpol bereits bei der Tsunami-Katastrophe in Südostasien Ende 2004 gemacht.

UNO fordert 550 Millionen als Soforthilfe

Bei der Auswertung von Satellitenaufnahmen stellten die Vereinten Nationen fest, dass mindestens 30 Prozent aller Gebäude in der Hauptstadt Port-au-Prince beschädigt oder zerstört wurden. In einigen besonders schwer betroffenen Vierteln sind es 50 Prozent und mehr. Die UN baten die internationale Staatengemeinschaft um eine Soforthilfe von 550 Millionen Dollar. Demnach sind drei Millionen Menschen dringend auf Nahrungsmittel, Wasser, Unterkunft und medizinische Notversorgung angewiesen.

Das Erdbeben in Haiti ist nach UN-Angaben die schlimmste Katastrophe, mit der die Vereinten Nationen jemals zu tun hatten. Diese Einschätzung traf die Sprecherin des Büros zur Koordinierung humanitärer Einsätze, Elisabeth Byrs, am Samstag in Genf.

Eine der größten Hilfsaktionen in der US-Geschichte

Die USA haben nach den Worten ihres Präsidenten Barack Obama eine der "größten Hilfsaktionen" ihrer Geschichte für das Katastrophengebiet in Haiti gestartet. Die Verteilung von Hilfsgütern stelle eine "enorme Herausforderung" für die Rettungskräfte dar, sagte Obama am Samstag im Weißen Haus. Die Hilfeleistungen für den von einem schweren Erdbeben verwüsteten Karibikstaat müssten "Monate und Jahre" laufen.

Obama äußerte sich nach einem Gespräch mit seinen Amtsvorgängern George W. Bush und Bill Clinton, die er mit dem Eintreiben von Spenden für Haiti beauftragt hat. Clinton, der zugleich UN-Sonderbeauftragter für Haiti ist, und Bush junior hätten die Leitung der "Clinton-Bush-Stiftung für Haiti" angenommen, sagte Obama.

Verteilung der Hilfsgüter kommt nur langsam voran

Nach dramatischen Anfangsschwierigkeiten kommt die Verteilung von Versorgungsgütern für die Erdbebenopfer in Haiti immer noch zu langsam voran. Hilfsorganisationen bemühten sich fieberhaft um die Weiterleitung von Wasser und Lebensmitteln, wurden jedoch immer wieder auf blockierten Straßen aufgehalten. Die US-Streitkräfte übernahmen die Kontrolle über den Flughafen von Port-au-Prince und koordinieren nun die Ankunft der Maschinen mit Hilfsgütern.

Frankreich über USA verärgert

Frankreich ist verärgert über die Art und Weise, wie die USA die Kontrolle über den Flughafen von Haiti übernommen haben. Am Freitag habe ein französisches Flugzeug mit einem Feldhospital und zehn Chirurgenteams keine Landeerlaubnis in Port-au-Prince bekommen, erklärte Entwicklungs-Staatssekretär Alain Joyandet dem französischen Auslandssender RFI am Samstag. Die Verhandlungen mit den Amerikanern hätten bis Einbruch der Nacht gedauert und das Flugzeug habe nach Santo Domingo umgeleitet werden müssen.

Es fehle an Urteilsfähigkeit, sagte Joyandet, der seit Freitag die französischen Hilfen in Port-au-Prince koordiniert. "Es ist nicht normal, dass ein Flugzeug mit einem Feldhospital an Bord nicht landen kann." Das Flugzeug hatte auf dem Rückweg 168 Menschen nach Guadeloupe ausfliegen sollen. Die Menschen mussten auf dem Flughafen übernachten.

Bis zu 10.000 US-Soldaten

Bis Montag sollen 9.000 bis 10.000 US-Soldaten in Haiti oder auf Schiffen vor der Küste im Einsatz sein, wie US-Generalstabschef Mike Mullen mitteilte. Eine Luftlandeeinheit begann bereits mit der Verteilung von Nahrungsmitteln, Wasser und Medikamenten. In Washington sagte US-Präsident Barack Obama: "Es liegen noch viele schwierige Tage vor uns."

Obama telefoniert mit Präsidenten

Er sprach am Freitag telefonisch mit dem haitianischen Präsidenten Rene Preval und sicherte ihm Unterstützung zu. Für Samstagvormittag (16.30 Uhr MEZ) kündigte Obama ein Treffen mit seinen Amtsvorgängern George W. Bush und Bill Clinton im Weißen Haus an, um über die Hilfe für Haiti zu beraten. Unterdessen wurde US-Außenministerin Hillary Clinton in Port-au-Prince erwartet, um sich persönlich ein Bild der Lage zu verschaffen.

EU-Außenbeauftragte Ashton in USA

Die EU setzt sich für eine bessere Koordinierung der internationalen Hilfe für Haiti nach der Erdbeben-Katastrophe ein. Mit diesem Ziel reist die EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton in der kommenden Woche in die USA, teilte die EU-Kommission am Samstag mit. Ashton werde Gespräche mit der US-Regierung und den Vereinten Nationen führen. Der für humanitäre Hilfe zuständige EU-Kommissar Karel De Gucht werde Anfang der Woche nach Haiti reisen, um sich an Ort und Stelle ein Bild zu machen.

In Brüssel treffen sich am Montag die zuständigen EU-Minister zu einer Sondersitzung, um über die Lage in Haiti sowie eine dauerhafte Unterstützung des Karibikstaates zu sprechen. Dabei dürfte es auch um den Vorschlag des französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy gehen, eine internationale Wiederaufbau-Konferenz für Haiti einzuberufen. Die Sondersitzung wird von der EU-Außenbeauftragten Ashton geleitet. Deutschland wird durch Außen-Staatsminister Werner Hoyer vertreten.

Plünderungen und Kämpfe um Nahrungsmittel

Für die Überlebenden wird die Lage unterdessen zunehmend verzweifelt. Am Freitag häuften sich die Meldungen von Plünderungen. Junge Männer liefen mit Macheten durch die Straßen. Es kam zu Kämpfen um Nahrungsmittel, die aus Trümmern von Gebäuden gezogen wurden. Der Fahrer eines Lastwagens mit Wasservorräten schilderte, wie er in einem Armenviertel von einer aufgebrachten Menge angegriffen wurde. "Wenn die Lage nicht bald kontrolliert wird, wird es zum Chaos kommen", sagte der Helfer Steve Matthews von der Organisation World Vision.

Massengräber

Auf einem Friedhof vor der Stadt luden Lastwagen Dutzende Leichen in ein Massengrab. Im Süden der Stadt verbrannten Arbeiter mehr als 2.000 Leichen auf einer Müllhalde. Das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) schätzt, dass 45.000 bis 50.000 Menschen ums Leben gekommen sind.

Die Versorgung der Verletzten war weiter kritisch. Vor einem Zentrum der Organisation Ärzte ohne Grenzen starben rund 100 Menschen, während sie auf medizinische Behandlung warteten, wie der Leiter der Vertretung, Stefano Zannini, telefonisch mitteilte. Die häufigste Verletzung seien offene Knochenbrüche. Mehr als 3.000 Verletzte wurden zur Behandlung in die benachbarte Dominikanische Republik gebracht.

250 medizinische Helfer aus Israel

Unterdessen landete eine Maschine mit 250 medizinischen Helfern aus Israel, die mit den Arbeiten zur Errichtung eines Feldlazaretts begannen. Vor dem eingestürzten Präsidentenpalast harrten mehrere tausend Obdachlose in einem Zeltlager aus. Wenn keine Hilfe komme, klagte die 21-jährige Straßenhändlerin Rivia Alce, "werden wir alle sterben."

Suche nach zehn Österreichern

Laut dem heimischen Außenamt werden derzeit noch etwa zehn Österreicher gesucht, die in Haiti gewesen sein könnten. Ihr Aufenthaltsort während des Bebens ist laut Sprecher Peter Launsky-Tieffenthal völlig unbekannt, daher gelten sie nicht als vermisst. Es wird davon ausgegangen, dass sie sich auch in einem anderen Staat befinden könnten. Knapp 30 Österreicher - Auswanderer und Mitarbeiter internationaler Organisationen - haben die Katastrophe unbeschadet überlebt. Eine 61-jährige Linzerin, Mitarbeiterin des Deutschen Entwicklungsdienstes (DED), starb.

Mindestens ein Deutscher tot

Bei dem Erdbeben ist mindestens ein Deutscher ums Leben gekommen. "Wir müssen davon ausgehen, dass ein erstes deutsches Opfer gefunden wurde", sagte Deutschlands Außenminister Guido Westerwelle (FDP) am Samstag in Berlin. Das Mitgefühl gelte der Familie. "Wir trauern um unseren deutschen Staatsangehörigen", sagte Westerwelle weiter. Die überwiegende Anzahl deutscher Staatsbürger in Haiti sei inzwischen ausfindig gemacht worden.

Trotz aller Bemühungen würden jedoch noch immer etwa 30 Deutsche vermisst. "Die Botschaft bemüht sich fieberhaft um Aufklärung." Westerwelle kündigte an, die Bundesregierung werde ihre Soforthilfen für Haiti auf insgesamt 7,5 Millionen Euro aufstocken.

Nachbeben

Port-au-Prince ist am Samstag von einem starken Nachbeben erschüttert worden. Zahlreiche Menschen liefen in Panik aus ihren Häusern. Das Nachbeben folgte vier Tage nach dem verheerenden Erdstoß vom Dienstag, bei dem nach Befürchtung der haitianischen Regierung mindestens 100.000 Menschen ums Leben kamen. (APA)