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Oberst Klein.

Foto: AP Photo/Anja Niedringhaus

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Provinz Kunduz und Kommandobereich der deutschen Bundeswehr.

Grafik: APA

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Bundesverteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg sprach am 3. Dezember 2009 im Bundestag in Berlin neben Bundeskanzlerin Angela Merkel und Bundesaußenminister Guido Westerwelle in der Debatte zum Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan.

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Der für den Angriff auf zwei Tanklaster bei Kunduz in Nord-Afghanistan am 4. September vergangenen Jahres verantwortliche Bundeswehroberst hat gezielt die Unwahrheit gesagt, um US-Piloten zu dem Bombenabwurf zu bewegen. Das berichtet das Nachrichtenmagazin Spiegel, dem der geheime Nato-Bericht zu dem Vorfall vorliegt am Samstag. Bisher waren nur Auszüge aus dem rund 500 Seiten langen Untersuchungsbericht bekannt gewesen. 

Bei dem Bombardement auf die von Taliban entführten Tanklaster waren je nach Quelle zwischen 99 (Regierungsangaben) und 142 Menschen (NATO-Angaben) getötet worden, darunter 30 Zivilisten. Vor dem Angriff hatten die von Bundeswehroberst Klein angeforderten US-Piloten mehrfach Bedenken geäußert und nachgefragt, ob tatsächlich eine "akute Bedrohung" vorliege.

"Akute Bedrohung"

Daraufhin ließ der deutsche Oberst seinen Fliegerleitoffizier antworten: "Ja, diese Menschen stellen eine akute Bedrohung dar", die Aufständischen versuchten, das Benzin abzuzapfen, "danach werden sie sich neu formieren, und wir haben Erkenntnisse über laufende Operationen und darüber, dass sie vermutlich Camp Kunduz angreifen werden".

Laut Spiegel gab die Nato in ihrem Bericht hingegen an, dass es keine sicheren Erkenntnisse gegeben habe, "die auf einen geplanten Angriff der Taliban" gegen das deutsche Feldlager hinwiesen.

No troops in contact

Gegenüber den Nato-Ermittlern gab Klein zudem zu, dass er gezielt die Unwahrheit angegeben habe, um sich die amerikanische Luftunterstützung zu sichern. Dafür musste er den Eindruck erwecken, dass seine Soldaten Feindberührung hatten, also "troops in contact" waren, kurz: TIC. "Sein Problem sei gewesen, dass er gewusst hätte, dass es in Wirklichkeit keine TIC-Situation gab", heißt es in dem Protokoll von Kleins Befragung zusammenfassend. "Er war der Ansicht, dass er bei Meldung einer TIC-Situation die gewünschte Luftunterstützung bekommen werde."

In der Zwischenzeit wird Kleins Verhalten auch von hochrangigen deutschen Soldaten kritisiert. So beschwerte sich der Kommandeur des Regionalkommandos Nord in Masar-i-Scharif, Brigadegeneral Jörg Vollmer, gegenüber dem Nato-Untersuchungsteam, er lege großen Wert darauf, dass die Bundeswehr Einsatzregeln der Nato einhalte. Er empfinde es als "nicht akzeptabel", dass er von Klein "so spät benachrichtigt" worden sei - nämlich erst nach dem Bombenabwurf, schreibt das Hamburger Wochenblatt.

Klein-Bericht

Der Nato-Bericht (Isaf-Bericht) stützt sich auf Recherchen von Experten einer Nato-Untersuchungskommission.

Klein schickte am 5. September einen zweiseitigen Bericht an Generalinspekteur Wolfgang Schneiderhan. Darin schreibt Klein: "Am 4. September um 1.51 Uhr entschloss ich mich, zwei am Abend des 3. September entführte Tanklastwagen sowie an den Fahrzeugen befindliche INS (Aufständische, Anm.) durch den Einsatz von Luftstreitkräften zu vernichten." Er habe das Bombardement befohlen, "um Gefahren für meine Soldaten frühzeitig abzuwenden und andererseits mit höchster Wahrscheinlichkeit nur Feinde des Wiederaufbaus zu treffen". Zuvor sei Klein in den Befehlsstand der Task Force 47 gegangen und habe aus Luftbildern der Piloten geschlossen, dass die Anwesenheit von Unbeteiligten sehr unwahrscheinlich sei. Nach diesem Bericht bewertet Bundesverteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) die Situation am 3. Dezember neu, spricht erstmals von der Unangemessenheit.

Guttenberg in Bedrängnis

Der Nato-Bericht bringt auch Guttenberg weiter in Bedrängnis. Nach Informationen des Spiegel enthält der Bericht bereits alle Details, die Guttenberg angeblich erst bekannt wurden, nachdem er die Luftangriffe als "militärisch angemessen" bewertet hatte.

Der Verteidigungsminister, seit etlichen Wochen unter Druck, solle ebenso Rede und Antwort im Untersuchungsausschuss, der Mitte Dezember seine Arbeit aufnahm, stehen wie Bundeskanzerlin Angela Merkel (CDU), schrieb der Spiegel kurz nach Konstituierung des Ausschusses. Denn, wann immer Karl-Theodor zu Guttenberg zu dem fatalen Bombardement in Kunduz befragt worden sei, habe seine Antwort gelautet: "Das wird der Untersuchungsausschuss klären." Die Opposition möchte die Kanzerlin und den Verteidigungsminister so schnell wie möglich befragen. Spiegel Online präsentiert seit Beginn des Ausschusses zehn zentralen Fragen, die aufzeigten, was die Regierung erklären müsse.

US-Piloten waren gegen Angriff

Die beiden am Luftschlag in Kundus beteiligten US-Piloten sind nach Informationen der Süddeutschen Zeitung wenige Tage nach dem Vorfall vom Einsatz abberufen und strafversetzt worden. Damit reagierte Isaf-Kommandeur Stanley McChrystal auf die Verletzung von Einsatzregeln. McChrystal hatte auch die Abberufung von Oberst Klein gefordert, war dabei aber am Widerstand des deutschen Verteidigungsministeriums gescheitert.

Anfang Dezember hatte der Spiegel berichtet, dass die Besatzung des Flugzeugs den Auftrag mehrmals hinterfragt hatten. Demnach forderte der Flugleitoffizier von Bundeswehr-Oberst Georg Klein, die Besatzung des F-15-Jagdbombers auf, sechs Bomben auf die Tanklaster abzuwerfen, die von zahlreichen Menschen umringt waren.

"Dude" vs. "Red Baron"

Die Besatzung habe widersprochen und den Standpunkt eingenommen, dass nur zwei Bomben nötig seien, sagte laut dem Bericht der Kommandant der 335th Fighter Squadron Unit, Oberstleutnant Lance Bunch, bei seiner Vernehmung.

Nach "Spiegel"-Informationen zeigen Auszüge des Funkverkehrs zwischen dem US-Piloten "Dude" und dem deutschen Fliegerleitoffizier "Red Baron", dass die Besatzung insgesamt fünfmal Tiefflüge als Warnung vorschlug. Doch "Red Baron" antwortete demnach: "Negativ. Das Ziel soll angegriffen werden."

Kein Verfahren gegen Klein

Unterdessen zeichnet sich laut Süddeutscher Zeitung ab, dass die Generalbundesanwaltschaft in Karlsruhe kein Verfahren gegen Klein einleiten wird. Nach Informationen von mittelbar an dem Vorgang beteiligten Parteien wird die Staatsanwaltschaft in den kommenden Wochen die Ermittlungen einstellen und sich dabei auf das Völkerrecht stützen.

Demnach würde der Afghanistan-Einsatz als nicht-nationaler bewaffneter Konflikt eingestuft, in der Beurteilung des Bombardements müsste das humanitäre Völkerrecht angewandt werden. In dieser Rechtskategorie ist ein militärischer Schlag gegen Konfliktgegner zulässig. Zivilisten verlieren ihren Schutzanspruch vorübergehend, wenn sie sich - wie beim Tanklastzug - in eine Konfliktsituation begeben. (fin, derStandard.at, 16.1.2010)