In der südafghanischen Provinz Helmand schreiten die Bauern mit prüfendem Blick ihre Felder ab: Kurz vor dem Winter haben sie den Schlafmohn gesät, drei Monate später steht er leuchtend rot in voller Blüte, und bald ist Erntezeit. Die Ernte wird wahrscheinlich gut.

Jahrelang hat das UN-Drogenkontrollprogramm (UNDCP) daran geglaubt, das Übel ausrotten zu können (siehe Seite A1). Der damalige UNDCP-Chef Pino Arlacchi verwies auf die Erfolgsgeschichte im damals noch von den Taliban regierten Afghanistan, dem weltweit wichtigsten Produzenten von Rohopium.

Verhandlungen

Bernard Frahi, Afghanistan-Beauftragter des UNDCP, breitete damals Fotos grün sprießender Weizenfelder auf seinem Schreibtisch aus: In mühsamen Verhandlungen schaffte es seine Behörde im Juli 2000 tatsächlich, den fundamentalistischen Gotteskriegern ein Verbot des Schlafmohnanbaus abzuringen. Die Taliban setzten das Verbot zwei Jahre lang tatsächlich rigide durch und ließen großflächig Felder abbrennen. Immerhin war es im Einklang mit dem Koran, der Rauschmittel als "haram", "unrein", brandmarkt - und es hatte den angenehmen Nebeneffekt, dass die Preise explodierten.

Das Beispiel Afghanistan zeigt auch besser als jedes andere, wie wenig polizeistaatliche Methoden auf Dauer ausrichten können. Kaum war das Terrorregime der Taliban weg, war der Mohn schon wieder da. 3400 Tonnen Opium wurden 2002 geerntet, zwanzigmal so viel wie im Jahr zuvor, die Anbaufläche wuchs von 8000 auf 74.000 Hektar.

Denn der Boden, auf dem illegale Drogen wachsen, ist derselbe geblieben. Dieser Boden ist: Krieg, Unsicherheit und soziale Unordnung.

Alternativpflanzen

Alle Alternativpflanzen - Getreide, Gemüse, Mais oder Obst - brauchen langwierige Hege, Pflege und Wasser. Sind, wie in Afghanistan, Kanäle und Bewässerungsanlagen durch Krieg zerstört, gedeiht nur noch der anspruchslose Mohn. Um schnell verderbliches Gemüse an den Mann zu bringen, braucht es funktionierende Märkte, sichere Straßen und viele zahlungsfähige Kleinkunden.

Für Rohopium hingegen, ein lagerfähiges Kapital, ist das alles nicht notwendig. "Opium ist in Afghanistan wie ein Bankkonto", erklärt Frahi, "es dient als einzige sichere Währung. Man verkauft einfach, wenn man zum Arzt muss oder die Hochzeit einer Tochter ansteht." In Krisenzeiten Gurken zu bunkern, bringt nicht viel. Kein Wunder also, dass alle alternativen Anbauprogramme scheitern, solange für Bauern keine Berechenbarkeit herrscht.

Afghanistan illustriert jedoch, dass die Wechselwirkung auch für die andere Richtung gilt: Das schnelle Geld, das mit Opium zu machen ist, "zerstört soziale Netzwerke und behindert die wirtschaftliche Entwicklung", wie der jüngste Jahresbericht des UNDCP feststellt. Wo Drogen gehandelt werden, werden Waffen gekauft und werden jene reich, die Waffen haben. Tatsächlich haben die Warlords und Regionalfürsten Afghanistans ihre Armeen und ihre Kriege jahrzehntelang aus dem Opiumanbau finanziert.

Lukrative Verhältnisse

Dass kaum jemand Interesse hat, an diesen lukrativen Verhältnissen etwas zu ändern, liegt auf der Hand. Da kann Regierungschef Hamid Karsai die Branche noch so oft mit Gefängnisstrafen bedrohen: Die Warlords werden jeden Versuch boykottieren, staatliche Strukturen, inklusive landesweiter Steuerbehörden, einer einheitlichen Armee, Polizei oder Zollwache aufzubauen.

Wie sehr die Regierung, trotz aller UN-Hilfe, in diesem Kampf auf verlorenem Posten steht, schildert ein Drogenfahnder des Innenministeriums in der Zeit: Für die 110 Mann starke Einheit gebe es "keine Autos, kein Labor. Nicht einmal eine verflixte Waage gibt es, um beschlagnahmtes Heroin zu wägen." Der Plan, Bauern Entschädigungen zu zahlen, wenn sie Felder abbrennen, scheiterte an der Korruption; daran, dass grüne Felder kein Feuer fingen; oder dass vielerorts einfach noch mehr angebaut wurde, um anschließend doppelt zu kassieren.

Lehre eins aus dem Modellfall Afghanistan lautet somit: Dass die Logik der Drogenwirtschaft mit Pflanzenvernichtung, Polizei oder auch viel Geld kaum zu knacken ist - solange es für Bauern keine rationalen Gründe gibt, dauerhaft auf Alternativen umzustellen. Und dass, zweitens, nicht das Opium selbst das Problem ist, sondern die Kollateralschäden, die es mit sich bringt - Kriminalität, Gewalt und Mafia.

Zu einer ähnlichen Erkenntnis sind in den letzten Jahren die meisten Experten in Westeuropa gelangt - was den Umgang mit illegalen Drogen und Suchtkranken in den eigenen Ländern betrifft. Sie plädieren für die Abkehr vom Prinzip "Heilung" bzw. "Ausrottung" - und setzen auf realistische, pragmatische Schadensbegrenzung. Denn es ist ein weiter Weg zwischen den rot leuchtenden Schlafmohnfeldern von Helmand bis hin zu den Fixerstuben europäischer Großstädte, und nur ein Hundertstel des Opiumgeldes bleibt in Afghanistan. Mit dem Rest muss der Rest der Welt fertig werden. (Sibylle Hamann, DER STANDARD Printausgabe 5/6.4.2003)

Die Autorin war während des Konflikts im Herbst 2001 in Pakistan, Tadschikistan und Afghanistan. (Sibylle Hamann, DER STANDARD Printausgabe 5/6.4.2003)