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Republikaner Scott Brown vergleicht sich mit JFK, Demokratin Martha Coakley war es zum Händeschütteln zu kalt.

Fotos: AP, Epa

Geht man nach der politischen Farbenlehre, dann ist Massachusetts so blau wie kein anderer Flecken in Amerika. Die Demokraten dominieren derart eindeutig, dass es die Republikaner, rein farblich die Roten, 1972 zum letzten Mal schafften, einen der beiden Senatssitze des Bundesstaats zu ergattern. Nun wittern sie Morgenluft. Morgen, Dienstag, wenn die Wähler den Nachfolger des verstorbenen Edward Kennedy bestimmen, rechnen sich die Konservativen eine echte Chance aus.

Nicht die Favoritin, die Demokratin Martha Coakley, liegt in letzten Umfragen vorn, sondern Scott Brown, der republikanische Außenseiter. Für John Kerry, den zweiten Senator des Staates, Grund genug, von einem Alarmsignal zu sprechen. Am Sonntag eilte Präsident Barack Obama nach Boston, um das eigentlich Undenkbare, einen Sieg Browns, abzuwenden.

Zu lange hatten die Demokraten das Rennen für reine Formsache gehalten. Zu wenig hatte sich Coakley, oberste Rechtsberaterin von Massachusetts, ins Zeug gelegt. Hände wolle sie nicht schütteln, nicht bei dieser Kälte, ließ sie wissen. Erst zum Schluss war sie bereit, sich auf zugige Marktplätze zu stellen.

Die allzu abgeklärte Art mag dazu beigetragen haben, dass es knapp werden kann. Schwerer wiegt der angestaute Ärger, wie er typisch ist für die derzeitige Stimmung in den USA. Zehn Prozent Arbeitslose, keine Aussicht auf schnelle Besserung: Die Wähler sind nicht gut zu sprechen auf die Partei, die gerade am Ruder ist.

Brown, der in den 1980ern nackt auf dem Titel des Hochglanzmagazins Cosmopolitan posierte, schwimmt geschickt auf der Anti-Washington-Welle. In Werbespots vergleicht er sich mit John F. Kennedy: JFK habe das Establishment genauso mutig herausgefordert wie er heute. Er zehrt davon, dass seine unterkühlte Rivalin lange den Anschein erweckte, als habe sie einen Anspruch auf den "Kennedy-Sitz" . 47 Jahre hatte ihn Ted Kennedy inne, bevor er im August einem Krebsleiden erlag. "Bei allem Respekt" , hakt Brown ein, "es ist nicht Kennedys Sitz, es ist nicht der Sitz der Demokraten, es ist der Sitz des Volkes."

Wie brisant das Duell ist, wird beim Blick auf die Parlamentsarithmetik schnell klar. Im US-Senat stellen die Demokraten, Unabhängige eingeschlossen, 60 der 100 Sitze. Die Mehrheit reicht exakt aus, um einen Filibuster (Dauerreden zur Verzögerung eines Gesetzes) der Republikaner abzuwenden. Gewinnt Brown das Duell in Massachusetts, haben die Konservativen genügend Senatoren zusammen, um Obamas wichtigstes Projekt, die fast fertig ausgehandelte Gesundheitsreform, buchstäblich auf der Zielgeraden zu Fall zu bringen. (Frank Herrmann aus Washington, DER STANDARD, Printausgabe 18.1.2010)