Zur Person
Enrique Ter Horst (62) war jahrelang für die Uno tätig, von 1996 bis 1997 als Leiter der Friedensmission auf Haiti

Foto: STANDARD/sandra weiss

Standard: Die Uno hatte zum Unglückszeitpunkt 9000 Soldaten und Zivilisten im Rahmen der Minustah-Mission auf Haiti. Warum sind sie nun kaum dort präsent?

Ter Horst: Die Infrastruktur der Uno wurde durch das Beben schwer beschädigt, daher scheint auch die Minustah mit der Lage überfordert. Das hat US-Präsident Barack Obama schnell verstanden und seine Soldaten mobilisiert. Die US-Kräfte sind essenziell, um jetzt für Ordnung zu sorgen.

Standard: Es scheint Rivalitäten zwischen Brasilien, das die Minustah anführt, und den USA hinsichtlich der Führungsrolle zu geben.

Ter Horst: Die Amerikaner sind näher dran und kennen Haiti viel länger. Letztlich wird derjenige, der mehr Geld, Soldaten und Helfer zur Verfügung stellt, die Kontrolle übernehmen. Und das scheinen die Amerikaner zu sein. Allerdings haben auch sie bisher die Lage nicht unter Kontrolle.

Standard: Was sind nun die großen Herausforderungen für Haiti?

Ter Horst: Die große Armut, die defizitäre öffentliche Infrastruktur und der sehr schwache Staat. Port-au-Prince ist ein völlig unregierbarer Moloch, der ohne jegliche Planung in kurzer Zeit auf zwei Millionen Menschen anwuchs. Und natürlich die zerstörte Umwelt: Wenn man in der Regenzeit über Haiti fliegt, sieht man, wie die ganze fruchtbare Erde ins Meer geschwemmt wird. Es sieht aus, als würde das Land verbluten.

Standard: Warum hat die ausländische Hilfe nicht gefruchtet?

Ter Horst: Das liegt an beiden Seiten. Einerseits sind die Haitianer sehr stolz und nationalistisch, sie wollen alles alleine machen und bremsen deshalb die internationalen Projekte aus. Die internationale Gemeinschaft kennt dieses Problem, hat aber nicht reagiert.

Standard: Welche Strategie bräuchte Haiti, um auf die Beine zu kommen?

Ter Horst: Eine Art Marshall-Plan, der die grundlegende Infrastruktur aufbaut, also Straßen, Häuser, Krankenhäuser. Es gibt viel Potenzial auf Haiti, etwa in der Fertigungsindustrie. Die Haitianer sind fleißig und geschickt. Auch der Export von Früchten oder Kaffee bietet Nischen. Dazu müsste man aber ein Wiederaufforstungs- und Umweltschutzprogramm einführen und eine Wirtschaftsstrategie entwerfen.

Standard: Wie kann man das bewerkstelligen, wenn sich beide Seiten gegenseitig blockieren?

Ter Horst: Es müsste ein großes Rahmenabkommen zwischen dem Staat und der Internationalen Gemeinschaft geben, in dem die Haitianer ihre Prioritäten festsetzen. Ich habe außerdem den Eindruck, dass internationale Rivalitäten im Lichte dieser Tragödie in den Hintergrund treten. So hat beispielsweise Kuba den Hilfsflugzeugen der USA die Überflugerlaubnis erteilt. Hoffentlich wächst durch das Erdbeben das Bewusstsein, dass Haiti eine offene Wunde der westlichen Hemisphäre ist. Diese Katastrophe birgt die große Chance, die bisherigen Blockaden zu überwinden. (Sandra Weiss,DER STANDARD Printausgabe 18.1.2009)