Wien - Nach dem Erdbeben in Haiti ist die am Leben gebliebene Bevölkerung massiv von Seuchen bedroht. Aufgrund der Hygienesituation wird vor allem die Kindersterblichkeit durch einen Anstieg an Durchfallleiden drastisch zunehmen. "Dass es Erkrankungen geben wird, ist klar, je effektiver die Hilfsmaßnahmen, desto eher kann man die Zunahmen kontrollieren", ist Seuchenexperte Stefan Seebacher vom Österreichischen Roten Kreuz (ÖRK) überzeugt. "Verhindern wird man das nicht können." Eine Typhus-Epidemie stelle ebenfalls eine mögliche Gefahr dar.

Sauberes Wasser und sanitären Anlagen

Um den Ausbruch tödlicher Seuchen zu verhindern, sei sauberes Trinkwasser und der Aufbau von sanitären Anlagen das um und auf, betonte Seebacher. "Damit wird man die meisten Menschen retten können." Die Beseitigung herumliegender Toter sei aus gesundheitlicher Sicht weniger wichtig. "Es klingt zwar furchtbar, ist aber so", erklärte der Mediziner. Der sogenannte Leichenmythos sei schlichtweg falsch: "Von einer Leiche, die kein Seuchenopfer ist, sondern ein gesunder Mensch war, geht in der Regel keine Bedrohung aus. Die Verwesung ist keine akute Gefahr."

Gefahr durch Durchfallerkrankungen

Bereits in den kommenden Tagen müsse man mit einer Zunahme der Durchfallerkrankungen rechnen. "Dann werden wir einen dramatischen Anstieg der Kindersterblichkeit haben", meinte Seebacher. Bereits vor dem Beben sei die Sterbeziffer von Mädchen und Buben hoch und zu 16 Prozent durch Durchfallerkrankungen bedingt gewesen. "Es wird natürlich auch Todesfälle unter den Erwachsenen geben", gab er zu Bedenken.

Typhus-Epidemie unwahrscheinlich

"Ein zweites, schon sehr unwahrscheinliches Szenario ist eine Typhus-Epidemie", erklärte der Mediziner. 2003 habe es eine Erkrankungswelle mit rund 400 Fällen in Haiti gegeben, aus diesem Grund sei ein neuerlicher Ausbruch möglich. Auswirkungen einer solchen Seuche wären um vieles dramatischer als die unvermeidbaren Durchfallerkrankungen. "Da sprechen wir von Toten zwischen ein und 20 Prozent der Bevölkerung - je nach Qualität der Versorgung", betonte Seebacher. "Es kann sich sehr explosionsartig ausbreiten, wenn wir die Hygiene nicht in den Griff bekommen." Möglich wäre eine solche Entwicklung angesichts der Inkubationszeit in zwei bis drei Wochen. Die dritte Bedrohung stelle ein Cholera-Ausbruch dar, der aber "praktisch sehr, sehr unwahrscheinlich" sei. (APA)