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Auch bei Stress gilt: Die Dosis macht das Gift

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Neuronale Stukturen im Gehirn sind verantwortlich für die physiologische Reaktion auf Stress

Foto: APA/Infineon Technologies AG/Max-Planck-Institut

Zur Person

Karl Ebner ist als Wissenschafter an der Abteilung für Pharmakologie und Toxikologie an der Universität Innsbruck tätig. Aktuell erforscht er im Rahmen eines neurobiologischen Forschungsprojekts was genau im Gehirn passiert, wenn Stress entsteht und das komplexe Zusammenspiel zwischen Stresshormonen und Neurotransmittern.

Foto: Universität Innsbruck

derStandard.at: Sie erforschen Stress unter anderem auch im Tiermodell - in wiefern sind die Vorgänge auf den Menschen übertragbar?

Ebner: Interessanterweise sind die physiologischen Reaktionen auf Stress bei Säugetieren und daher auch beim Menschen im Großen und Ganzen ähnlich. Erschreckt man beispielsweise eine Ratte oder einen Hund, werden die gleichen neuronalen Strukturen im Gehirn aktiviert, die auch bei uns Menschen in solchen Schrecksituationen aktiviert werden. So konnte nachgewiesen werden, dass Hirngebiete wie beispielsweise der Mandelkern bei der Verarbeitung von Emotionen und Angst eine zentrale Rolle spielt.

Auch die körperlichen Reaktionen sind bei Tier und Mensch identisch: Bei beiden kommt es in Folge von Stress zu einem Anstieg der Herzfrequenz und des Blutdrucks, die Atmung beschleunigt sich und die Aufmerksamkeit und Reaktionsbereitschaft wird erhöht. Da eine solche Stressreaktion bei Tier und Mensch gleich abläuft, kann man davon ausgehen, dass auch deren Regulationsmechanismen durch die sogenannte Stressachse ähnlich sind.

derStandard.at: Was genau versteht man unter der Stressachse?

Ebner: Als Stressachse bezeichnet man die verschiedenen Ebenen der Stressreaktion, vom Gehirn über Hypophyse zur Freisetzung von Stresshormonen ins Blut. Der Ausgangspunkt und zentrale Schaltstelle dieses Vorgangs ist der Hypothalamus. In diesem stammesgeschichtlich sehr alten Hirngebiet befinden sich spezielle Nervenzellen, die bestimmte Neuropeptide (Corticotropin-Releasing-Faktor- (CRF), Anm.) enthalten, welche in der Hypophyse die Freisetzung von Corticotropin induzieren. Dieses gelangt dann über die Blutbahn zur Nebennierenrinde, wo es die Freisetzung des klassischen Stresshormons Cortisol verursacht.

derStandard.at: Ist diese Stressachse messbar?

Ebner: Eine Stressreaktion kann man sehr schön messen indem man die Konzentration der Stresshormone wie Corticotropin oder Cortisol im Blut und auch in anderen Körperflüssigkeiten nachweist.

derStandard.at: Cortisol hilft dem Menschen auch bei der Bewältigung einer Bedrohung.

Ebner: Genau, die Stresshormone erfüllen natürlich auch ganz wichtige physiologische Funktionen. Wie bereits erwähnt kommt es in Folge einer solchen Stressreaktion durch die Stresshormone zu einer Mobilmachung von Energiereserven im Körper, um adäquat auf eine bestimmte Stresssituation reagieren zu können.

Stress ist also an und für sich nichts Negatives, sondern im Gegenteil lebenserhaltend - nur auf die Dosis kommt es an. In der richtigen Dosis kann Stress zu Höchstleistungen anspornen, etwa im Leistungssport. Positiver Stress steigert das Selbstvertrauen und wir empfinden eine in Maßen stressvolle Situation als spannende Herausforderung. Auch das berühmte Lampenfieber hat schon so manchen zu Höchstleistungen beflügelt. Erst das Zuviel kann krank machen! Eine permanente Erhöhung dieser Stressachse, der Stresshormone hat negative Auswirkungen auf die Gesundheit.

derStandard.at: Warum ist chronischer Stress schlecht für die Gesundheit?

Ebner: Es wird vermutet, dass Cortisol im Gehirn zellschädigende Auswirkungen haben kann. So konnte gezeigt werden, dass es durch Dauerstress und durch die damit verbundene permanent erhöhte Stresshormonfreisetzung zur Atrophierung (Schrumpfung, Anm.) und sogar zum Verlust von Nervenzellen kommen kann. Stress ist eine multifunktionale Erscheinung, hat Einflüsse auf alle möglichen physiologische Systeme - unter anderem auch auf das Immunsystem und auf den Stoffwechsel.

In Hinblick auf psychiatrische Erkrankungen, gilt heute als erwiesen, dass Stress mit der Ausprägung von Depressionen und Angsterkrankungen in Zusammenhang steht. Viele Depressionspatienten weisen einen erhöhten Cortisolspiegel auf und bei solchen Patienten konnte in weiterer Folge oft auch eine erhöhte CRF-Konzentration im Gehirn nachgewiesen werden. Daher wird angenommen, dass Depressionen oft mit einer Fehlregulation der neuroendokrinen Stressachse in Verbindung stehen, die durch bestimmte therapeutische Maßnahmen wieder normalisiert werden kann.

derStandard.at: Was bedeutet diese Erkenntnis für die Behandlung von Depressionspatienten?

Ebner: Aus dieser Erkenntnis ergeben sich neue Ansatzpunkte für die Behandlung von Depressionen, indem man Substanzen entwickelt, die direkt diese Stressachse hemmen. Da Depressionen aber nicht immer mit einer gestörten neuroendokrinen Stressachse einhergehen, ist davon auszugehen, dass dieser Ansatzpunkt nur bei bestimmten Patienten zielführend ist. Daher kommt der genauen Analyse der Pathophysiologie des einzelnen Patienten in Zukunft eine größere Bedeutung zu, um mit neueren Behandlungsmethoden auf mehr Individualität und weniger Einheitstherapie abzuzielen.

derStandard.at: Gibt es Potenzial für Substanzen abseits der bekannten Antidepressiva?

Ebner: Große Hoffnung liegt auf bestimmten Neuropeptiden. Beispielsweise wurden am Max Planck Institut für Psychiatrie in München CRF1-Antagonisten klinisch getestet - ihnen konnte eine antidepressive Wirkung nachgewiesen werden. Leider gab es auch Nebenwirkungen wie Verdacht auf Leberschädigungen, daher wurden die Untersuchungen nicht weiter fortgesetzt. CRF1-Antagonisten werden aber nach wie vor von verschiedenen Pharmafirmen in klinischen Studien getestet. Es gibt aber noch viele andere Neuropeptide, die sehr vielversprechend sind.

derStandard.at: Was sind denn die Nachteile der gegenwärtig verwendeten Antidepressiva, den bekannten Monoamin-Wiederaufnahmehemmern?

Ebner: Das Problem ist, dass sie eine hohe Latenzzeit haben: sie wirken erst nach zwei bis drei Wochen - Patienten setzen die Medikamente oft ab, weil sie glauben, dass sie nicht wirken. Das kann sehr problematisch sein. Dazu kommt: bei 30 Prozent der Patienten wirken diese Medikamente wirklich nicht. Ein weiterer Nachteil ist das große Nebenwirkungsprofil. Da Monoamine meist global im gesamten Gehirn vorkommen und dadurch in verschiedenste Funktionen involviert sind, wirken sich pharmakologische Interventionen dieser Monoamin-Systeme auch auf alle möglichen anderen körperlichen Funktionen aus.

derStandard.at: Was können Neuropeptide besser?

Ebner: Da Neuropeptide nicht global im gesamten Hirn vorkommen, sondern lokal in bestimmten Hirngebieten, die bei der Verarbeitung von Emotionen und Gefühlen wichtig sind, ist nach pharmakologischer Intervention mit weniger Nebenwirkungen zu rechnen.

derStandard.at: Gibt es auch noch andere neue Forschungsansätze?

Ebner: Ja, ein weiterer Ansatzpunkt ist die Aktivierung endogener, neuronaler Stressinhibitionsmechanismen. Neben dem bereits beschriebenen Weg stressaktivierende Systeme wie CRF durch entsprechende Pharmaka zu hemmen, gibt es auch einen weiteren sehr vielversprechenden Weg, endogene Schutzmechanismen zu aktivieren. Dieser Ansatz, den auch wir in unserer Forschung verfolgen, beruht auf der Erkenntnis, dass manche Hirnregionen die Stressachse hemmen und damit den Körper vor exzessiver Stresshormonausschüttung schützen können.

Wir erforschen gerade welche Hirngebiete dabei beteiligt sind. Ein wichtiges Hirnareal scheint dabei das zum limbischen System gehörende laterale Septum zu sein, denn wenn man dieses Hirngebiet neurotoxisch ausschaltet, zeigen Tiere ähnlich wie viele Depressionspatienten eine exzessive Stressreaktion. Wir sind gerade dabei zu analysieren welche Neurotransmittersysteme dabei wichtig sind, um herauszufinden wie man pharmakologisch diese neuronalen Schutzmechanismen aktivieren kann. Auch da scheinen Neuropeptide eine wichtige Rolle zu spielen.

derStandard.at: Würden Sie sagen, dass alles Psychische auch ein biologisches Pendant hat?

Ebner: Ja, absolut. Durch moderne bildgebende Verfahren ist es heute möglich einen Blick ins lebende Gehirn zu bekommen. Dadurch ist es möglich neurobiologische Aktivitätsmuster mit bestimmten psychischen Faktoren zu korrelieren. Damit konnte konkret gezeigt werden, dass bei psychiatrischen Erkrankungen nicht nur die Verabreichung bestimmter Medikamente, sondern auch die Psychotherapie zu Veränderungen im Gehirn führt. Daher scheint eine Kombination von Pharmako- und Psychotherapie wahrscheinlich effektiver zu sein als eine singuläre Therapie. (derStandard.at, 20.1.2010)