"Nichts ist gut in Afghanistan", sagte Margot Käßmann, die neugewählte Vorsitzende der Evangelischen Kirche Deutschlands, in ihrer ersten Neujahrspredigt. Seither ist die Diskussion über Recht oder Unrecht, Sinnhaftigkeit oder Sinnlosigkeit des Krieges am Hindukusch nicht abgerissen und wird kulminieren, wenn Deutschland und Europa nächste Woche ihre Strategien zu diesem Thema darlegen werden. Das Dilemma: Einfach abzuziehen, nach dem Motto "Hinter uns die Sintflut" , geht nicht. Aber immer mehr Soldaten schicken und weiterkämpfen geht auch nicht, weil die Menschen, in Europa und zunehmend auch in den USA, nicht mehr wollen.

In einem kleinen Ort in Niederösterreich ging ich neulich an einem Kriegerdenkmal vorbei. Wie immer bei solchen Denkmälern blieb ich stehen und las die lange Liste der Namen: eine Spalte für den Ersten Weltkrieg, eine für den Zweiten. Immer die gleichen Namen. Dieselben, die man auch an den Geschäften und Gasthöfen im Ort sah. Jahrhundertelang war es normal, dass in jeder Generation ein Sohn oder zwei in irgendwelchen Kriegen ihr Leben verloren. Man trauerte um jeden, aber es war in den kinderreichen Familien auf dem Land meist immer noch einer da, der den Hof oder den Laden übernehmen konnte.

Das ist heute anders. Es gibt meist nur einen Sohn. Und einzige Söhne zu Tausenden in den Krieg schicken und verlieren - das hält auf die Dauer keine demokratische Gesellschaft aus. Wo die Kinder rar werden, wird das menschliche Leben kostbarer. Längst werden Kriegseinsätze in demokratischen Ländern nur Freiwilligen zugemutet. Aber trotzdem tun sich die wohlhabenden Demokratien dieser Welt immer schwerer, Kriege in fernen Ländern zu führen und Verluste hinzunehmen.

Auch die afghanischen Mütter und Väter lieben vermutlich ihre Söhne. Aber an jungen Männern, die gern ihr Leben für ihre Sache opfern, herrscht kein Mangel. Die Terrororganisationen rühmen sich, dass für jeden Attentäter, der umkommt, hunderte neue bereitstehen. Ob zu Recht oder zu Unrecht sind sie der Meinung, ihr Land gegen ausländische Invasoren zu verteidigen. Winston Churchill, ein Mann, der mehr vom Krieg verstand als die meisten seiner Zeitgenossen, sagte: Die Verteidiger gewinnen immer.

Die Geschichte gibt ihm recht, von Napoleons Russlandfeldzug bis zu Amerikas Vietnam- und Russlands Afghanistankrieg. Theodor Fontane, der skeptische Liberale, war während der Revolution 1848 der Ansicht, die kaum bewaffneten Berliner Arbeiter und Kleinbürger hätten gegen die kampferfahrene preußische Garde keine Chance. Er änderte seine Meinung, als er die Memoiren des kommandierenden Generals las. Er könne die Lage zwei Tage lang halten, hatte dieser dem König berichtet, länger nicht.

Sind die US-Truppen in Afghanistan und ihre Verbündeten in einer ähnlichen Lage? Sie haben viele gute Argumente dafür, zu bleiben, bis die afghanische Regierung allein dem Terror Einhalt gebieten kann. Aber mehr und mehr haben sie es daheim mit einer öffentlichen Meinung zu tun, die, wie die oberste Evangelische in Deutschland, sagt: Nichts ist gut in Afghanistan. (Barbara Coudenhove-Kalergi/DER STANDARD, Printausgabe, 19.1.2010)