Was geht uns eigentlich die Ukraine an? Was schert es die EU, wenn die Politiker in Kiew sich schlagen (manchmal nicht nur verbal) und dann wieder vertragen, wenn sie mit den Oligarchen ihre undurchsichtigen Geschäfte machen und wenn auch gegenüber dem teils verhassten, teils geliebten, aber zwangsläufig respektierten großen Bruder Russland nichts so heiß gegessen wie gekocht wird?

Allein der Hinweis darauf, dass über die Ukraine drei Viertel des in die EU gelieferten Erdgases fließen, sollte die Frage erschöpfend beantworten. Die Antwort ist nicht so vordergründig und, aus europäischer Sicht, selbstsüchtig, wie es scheint. Denn wie Kiew und Moskau im Dauerstreit um die Gaslieferungen miteinander und mit der EU umgehen, das hängt ganz entscheidend vom jeweiligen gesellschaftlichen System und von der politischen Kultur ab.

Wie scharf Moskau alles beobachtet, was in Kiew passiert, wie sehr es versucht, den Gang der Dinge zu beeinflussen, das hat die Orange Revolution vor fünf Jahren gezeigt. Damals ist der Kreml mit seiner allzu plumpen Parteinahme für den Wahlfälscher Wiktor Janukowitsch gescheitert. Jetzt geht Janukowitsch als nomineller Favorit in die Präsidentenstichwahl am 7.Februar. Julia Timoschenko, die einstige Galionsfigur der Orangen Revolution, hat er klar auf Distanz gehalten. Das sagt schon fast alles über die ukrainischen Verhältnisse.

Aber selbst wenn Timoschenko die Stichwahl gewinnt (was man ihr absolut zutrauen kann), bedeutet das keinen späten Sieg der Orangen Revolution. Zu viel ist seither geschehen, zu viel wurde versäumt. Einen Gutteil der Schuld daran trägt der amtierende Präsident Wiktor Juschtschenko, der mit nur rund fünf Prozent der Stimmen denn auch vernichtend geschlagen wurde. Für einen Revolutionshelden fehlte ihm, der wie Timoschenko aus dem alten autokratischen System kommt, das Charisma.

Der (bis heute unaufgeklärte) Giftanschlag brachte Juschtschenko Popularität. Aber Mitleid ist keine politische Kategorie. Und statt für seine Vision einer kompromisslos westorientierten Ukraine umsichtig zu kämpfen und Verbündete zu suchen, verlegte er sich auf eine Blockadepolitik - auch und vor allem gegenüber seiner einstigen Mitstreiterin Timoschenko.

Juschtschenkos Scheitern ist umso tragischer, als er als einziger Spitzenpolitiker ein klares Zukunftskonzept für das Land hatte. Man kann darüber streiten, ob es klug war, gegen eine breite Bevölkerungsmehrheit für den Nato-Beitritt zu trommeln. Aber dass ein Land dieser geopolitischen Lage ohne feste Einbindung in ein Sicherheitssystem ein gefährliches Vakuum darstellt, steht fest. Moskau wusste jedenfalls die Chance der Kiewer Selbstblockade zu nutzen. Der Kreml musste diesmal nicht einmal mehr mit einem Gasstopp drohen. Ohnehin steht längst fest, dass sich jeder künftige Präsident mit ihm arrangieren wird.

Die EU, einst am Erfolg der Orangen Revolution durch geschicktes Vermitteln mitbeteiligt, hat gerüttelten Anteil an der tiefen ukrainischen Misere. Eine klare Beitrittsperspektive hätte die Nato-Frage in den Hintergrund gerückt, Moskau damit ruhiggestellt und die Reformkräfte in Kiew ermuntert. Aber Weitblick, strategisches Denken und der entsprechende Mut sind dünn gesät im saturierten Europa. (Josef Kirchengast/DER STANDARD, Printausgabe, 19.1.2010)