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Abends im Oval Office: Barack Obama arbeitete in seinem ersten Jahr in frenetischem Rhythmus, Erfolge lassen noch auf sich warten.

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Graphik: Standard

Es waren schwierige zwölf Monate für den neuen amerikanischen Präsidenten, der viele Bälle in der Luft hat, aber bisher noch kaum konkrete Erfolge vorzuweisen hat.

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Es war ein kurzer privater Moment inmitten des Trubels. Nur wenige Tage blieben bis zum feierlichen Amtseid, Barack Obama war mit Gattin Michelle und den Töchtern Malia und Sa-sha die Mall entlang zum Lincoln Memorial spaziert. Der Abend dämmerte, der Mann, der bald Präsident sein würde, las aus der Gettysburg Address, Abraham Lincolns aufwühlender Ansprache, gehalten nach einer der blutigsten Schlachten des Bürgerkriegs. Kurz darauf saß er auf einer Tribüne, Stevie Wonder, U2 und Bruce Springsteen sangen. Ausnahmsweise brauchte er keine Rede zu halten. "An diesem Punkt fühlte ich große Zufriedenheit, weil meine Kampagne geholfen hatte, so eine prächtige Atmosphäre zu schaffen." Die Kulisse lieferte, wie so oft in jenen klirrend kalten Jännertagen, das imposante Lincoln-Denkmal.

Old Abe, der alte Lincoln. Allein durch die Symbolik schürte die Regie eine Erwartungshaltung, die der Hauptdarsteller heute bereuen mag. Lincoln war ein Präsident, den die Amerikaner "transformational" nennen. Einer, der das Land veränderte, es die Richtung wechseln ließ. Es gibt nicht viele Präsidenten dieses Formats. Woodrow Wilson und Franklin D. Roosevelt wären zu nennen, Obama zählt auch Ronald Reagan dazu.

Er selbst hatte die Wähler für sich gewonnen, weil er an ihre Sehnsüchte appellierte. Inmitten des Stillstands versprach er Wandel, ein Amerika, das sich neu erfindet. Der Wandel lässt auf sich warten. Die Kluft zwischen Rhetorik und Realität ist es, die Obama heute zu schaffen macht. Er selbst hat gewusst, zumindest geahnt, wie schwierig es wird. "Ich bin der Kapitän des Schiffs, nicht sein Konstrukteur" , vertraute er dem Newsweek-Reporter Richard Wolffe vor zwölf Monaten an. "Ich kann aus einem alten Dampfer kein nuklearbetriebenes U-Boot machen. Ich kontrolliere weder das Wetter noch den Ozean."

Vielleicht hätte er gut daran getan, solche Sätze öfter in seine Reden zu flechten, die Euphorie stärker zu dämpfen. Von vornherein war klar, was für ein schweres Erbe er antreten musste. Eine Wirtschaft im Sinkflug, Finanzkrise, Schulden, zwei Kriege, einer im Irak, der zweite in Afghanistan - dazu eine republikanische Opposition, die von Beginn an nur blockierte. "Obama lässt an einen Piloten denken, der das Steuer des Flugzeugs übernehmen musste, nachdem alle Triebwerke ausgefallen waren" , schreibt das Magazin New Republic.

An der tristen Ausgangslage sollte man das erste Jahr des Präsidenten messen, nicht an den überzogenen Erwartungen, dem Gerede von einem Messias der Moderne. Ein zweiter Lincoln, ein zweiter Roosevelt ist er nicht. Eher erinnert er an Bill Clinton, was gewiss kein schlechtes Zeugnis ist. Wie Clinton setzt Obama auf sorgfältig abgewogene Kompromisse, wie Clinton geht er Probleme pragmatisch an, wie Clinton dreht er lieber vorsichtig an Stellschrauben, statt den großen Wurf zu wagen.

Das milliardenschwere Konjunkturpaket, das Obama durch den Kongress boxte: Praktisch jeder andere US-Präsident hätte genauso entschieden, glaubt William A. Galston, Professor an der Brookings Institution, der führenden Denkfabrik Washingtons. Dass er dafür Prügel beziehe, weil der Stimulus nicht sofort Wunder wirke, sei unfair. Ohne den fiskalischen Kraftakt, das unterschreibt jeder seriöse Ökonom, läge die Arbeitslosigkeit heute noch höher als bei zehn Prozent.

In der Krise sieht kein Präsident gut aus, das ist Obamas Dilemma. Die meisten seiner Landsleute fragen nicht mehr, wie die Lage vor zwölf Monaten war. Sie sehen, dass es an Jobs fehlt, mag die schwerste Rezession seit den 1930er-Jahren offiziell auch als beendet gelten. Sie sind ratlos, weil China aufholt und niemand sagen kann, ob die USA auf Dauer ins Hintertreffen geraten. Tut Obama das Richtige, um Amerika wieder auf Kurs zu bringen? Hatten vor Jahresfrist noch 68 Prozent mit Ja geantwortet, so sind es heute noch 53 Prozent. Der Mann im Weißen Haus, er ist so etwas wie der Blitzableiter. Der Ärger der verunsicherten Nation richtet sich gegen jene, die gerade am Ruder sind. Die Vorgeschichte interessiert nur noch am Rande.

Hinzu kommen taktische Schnitzer. So wollte Obama bei der Gesundheitsreform nicht denselben Fehler begehen, der das Projekt unter Clinton scheitern ließ. Statt dem Kongress eine bereits fertige Blaupause der Reform vorzulegen, überließ er Repräsentantenhaus und Senat die Ausarbeitung der Novelle. Heraus kam, dass zeitweise ein halbes Dutzend Entwürfe kursierte. So nötig das Gesetzeswerk ist, so sehr erschwert das Ringen darum seit dem Sommer das Regieren.

Obama kann nur hoffen, dass sich die Arbeit des Anfangs irgendwann auszahlen wird. Gleiches gilt für die Außenpolitik. Er hat die Wolken des Hasses und der Angst, durch die viele während der Bush-Jahre auf Amerika blickten, beiseite geschoben. Nach dem versuchten Flugzeugattentat über Detroit unterließ er es, seine Agenda vom "Krieg gegen den Terror" diktieren zu lassen. Es sind die Reflexe eines überlegten, umsichtigen Politikers. Es sind Eigenschaften, wie man sie unter George W. Bush schmerzlich vermisste.

Obama habe nicht nur den Ruf der USA in der Welt aufpoliert, er habe auch neu definiert, wie die USA die Welt sehen, meint Zbigniew Brzezinski, der Sicherheitsberater Jimmy Carters. Der Islam sei nicht der Feind, China dürfe nicht nur wirtschaftlicher, sondern müsse auch geopolitischer Partner sein, ein besseres Verhältnis zu Russland läge in jedermanns Interesse. Aber die Saat müsse noch aufgehen, doziert Brzezinski in Foreign Affairs. "Den Übergang vom inspirierenden Redner zum überzeugenden Staatsmann - Barack Obama hat ihn noch nicht geschafft." (Frank Herrmann aus Washington/DER STANDARD, Printausgabe, 19.1.2010)