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Foto: APA/AP/The Canadian Press, Sean Kilpatrick

Das soziale Netzwerk Facebook erfuhr in den letzten Jahren einen gewaltigen Zuspruch der AnwenderInnen. Jedes Monat wurden neue Rekordzuwächse vermeldet. Eine wesentliche Säule im Konzept war die Zusicherung an die User, dass ihre persönlichen Daten per default - also automatisch voreingestellt - nur von "FreundInnen" eingesehen werden können. Dieser zentrale Punkt war stets im Mittelpunkt der Überlegungen - doch seit Dezember hat sich das Bild gewandelt und Facebook drastisch gewandelt.

Die Änderungen

Was änderte sich denn nun wirklich im Dezember bei Facebook? Zum einen gibt es keinerlei Einschränkungen mehr beim Profilbild und den Seiten, die man abonniert hat beziehungsweise die die AnwenderInnen regelmäßig mit Updates versorgen. Auch die Freundeslisten sind öffentlich zugänglich und einsehbar gemacht worden. Erst nach einem lauten Aufschrei der Community ruderte man bei Facebook etwas zurück und integrierte neue Möglichkeiten um diese Daten nicht für alle einsehbar zu machen.

Von "Privat" zu "Öffentlich"

Die Updates der AnwenderInnen, Fotos, Videos und Links waren früher per default "Privat", doch seit Dezember sind diese Datensätze ebenfalls "öffentlich" geworden. Die AnwenderInnen mussten ihre Einstellungen händisch wieder auf das gewünschte Maß beschränken oder das ganze Web konnte die vormals privaten Daten einsehen. Dies stieß bei vielen AnwenderInnen auf Unverständnis und wenig Gegenliebe, auch der anderen Seite dürfte es auch eine Vielzahl von Usern geben, die sich gar nicht bewusst sind, welche Änderungen es seit Dezember gibt.

Die Beweggründe

In einem ausführlichen Artikel nimmt die New York Times die Veränderungen bei Facebook unter die Lupe und berichtet über die Hintergründe. Auf die Frage warum man bei Facebook diese Änderungen vorgenommen habe, erhielt die New York Times unterschiedliche Antworten. So meinte etwa die Facebook-Produktmanagerin Leah Pearlman, dass durch das Veröffentlichen weiterer persönlicher Daten den AnwenderInnen geholfen werde, bessere Suchergebnisse zu erzielen. Immerhin fänden sich oft viele Leute gleichen Namens im sozialen Netzwerk und weitere Unterscheidungs- und Identifikations-Möglichkeiten wären hilfreich. Brandee Barker, Director of Communications von Facebook meinte wiederum, dass mehr öffentliche Information helfen würde mit neuen Leuten in Kontakt zu treten und gemeinsame Interessen zu finden.

Nicht weniger, sondern mehr Kontrolle

Chief Privacy Officer Chris Kelly meinte im Juli gegenüber der New York Times, dass die Änderungen nicht gemacht wurden, um den AnwenderInnen weniger, sondern im Gegenteil sogar mehr Kontrolle über ihre Privacy und ihre Daten zu geben. Nach den Änderungen im Dezember sprach die US-Zeitung dann mit Barry Schnitt, "Director of Corporate Communications and Public Policy" bei Facebook. Die Änderungen im Dezember bezeichnet Schnitt als ebenso bedeutend, wie die Entwicklungen im Jahr 2006, als sich Facebook auch für die breite Öffentlichkeit öffnete. "Facebook verändert sich. Da sich auch die Welt stetig verändert, versuchen wir auch weiterhin die Wünsche der AnwenderInnen zu befriedigen." Der Fokus liege nicht mehr auf Privacy. Die AnwenderInnen würden diesem Punkt auch immer weniger Bedeutung zumessen. Es gehe vielmehr um in Richtung Öffentlichkeit, Twitter, MySpace, Reality TV und öffentlichen Posting. Im Jänner sorgte dann auch Facebook-Gründer Mark Zuckerberg für Diskussionen, als er erklärte, dass die Privatsphäre nicht mehr wichtig wäre - der WebStandard berichtete.

Für Weltfrieden und eine bessere Welt

Die Öffnung der privaten Daten sei ein Schritt um die Facebook-Community weit zusammenwachsen zu lassen. Mehr Empathie und besseres Verständnis zu schaffen - "eine Änderung in Richtung eines öffentlichen Facebook ist gut für den Weltfrieden. Dieses Argument ist in beim Thema Privacy möglicherweise das überzeugendste", urteilt die New York Times.

An die Börse oder für mehr Geld

Dieser Sichtweise wollen sich aber nicht alle AnwenderInnen anschließen. Aus Sicht der KritikerInnen macht sich Facebook nur bereit für eine Übernahme oder einen Börsegang und wolle so einerseits den Traffic andererseits den Werbewert deutlich erhöhen: je mehr Seiten aufgerufen werden - und zwar ungehindert möglicher Privacy-Einschränkungen - desto mehr Werbebotschaften kann Facebook einblenden. Und je mehr Werbung, desto höher der Marktwert.

Die Gegenargumente

Die New York Times zieht nun ihrerseits ein Fazit über die Entwicklung und hinterfragt die Meldungen von Seiten Facebook: "Selbst wenn sich die Gesellschaft tatsächlich weg von Privatsphäre hin zu mehr Öffentlichkeit bewegt, so kann man damit nicht das Entfernen von entsprechenden Kontrollmöglichkeiten begründen. So meinte etwa auch Microsoft-Forscherin Danah Boyd in dieser Woche, dass die Menschen sehr wohl am Thema Privacy interessiert seien, da es dabei um Kontrolle gehe. Natürlich, viele Teenager sehen es so, dass "Öffentlich automatisch, Privat bei Bedarf" keine Aushöhlung und Geringschätzung der Privatsphäre, sondern vielmehr suggeriere, dass Öffentlichkeit einen Wert hat und sich, und das ist wichtiger, die Leute sehr bewusst damit umgehen was privat ist und es auch bleiben soll."

Mehr Kontrolle für die User

Nick O'Neill schrieb in seinem Blog InsideFacebook, dass sich nicht Facebook um das Thema kümmern, sondern einfach den AnwenderInnen komplette Kontrolle über ihre Privatsphäre geben solle. So würde sich innerhalb kürzester Zeit zeigen, wie die aktuellen Werte und Normen in diesem Bereich gerade sind. In seiner Arbeit "Saving Face: The Privacy Architecture of Facebook" setzt sich der Student Chris Peterson mit der Frage der Privatsphäre auseinander und zeigt welche Auswirkungen die Änderungen der Privacy-Einstellungen bei Facebook haben. Auch der Autor Nicholas Carr macht sich über die Entwicklungen bei Facebook Gedanken und sieht dadurch eine Bedrohung für die persönliche Freiheit heranwachsen.

Die Bedrohung geht tiefer

"Aber in diesem Bereich geht die Bedrohung noch tiefer", so die New York Times, "das kontinuierliche Schwinden der Privatsphäre wirft die entscheidende Frage auf - was ist Privacy eigentlich? Wie Bruce Schneier einmal sagte - Privacy ist nicht nur ein Schild hinter dem wir uns verstecken können, wenn wir etwas Schlimmes tun. Es ist ein maßgebliches Konzept der Freiheit und Demokratie. Wir verlieren unsere Individualität, weil alles überwacht oder aufgezeichnet werden kann. Es gibt natürlich Unterschiede von Person zu Person wo man die Grenze zieht und wie man mit dem Thema umgeht, aber jeder soll die Möglichkeiten haben und nutzen können, so zu agieren wie man will. Carr argumentiert, dass das Entfernen der Privacy die Freiheit der Einzelnen und unsere Individualität austrocknen würde."

Facebook-User als Lemminge?

Einen interessante Aspekt in dieser Diskussion hat auch ZDNetmit dem Artikel "Zuckerberg: I decide societal norms. (Are Facebook users lobotomized lemmings?)" zu bieten. Auch hier geht es darum, wie die Industrie vermittelt, dass die AnwenderInnen immer weniger an Privacy interessiert sind beziehungsweise wie wenig das Thema tatsächlich in den Köpfen der "westlichen Welt" steckt. Doch was wäre, wenn nicht Facebook als US-Konzern, sondern ein ähnliches Angebot in China so auftreten würde? Würde dann die Welt aufschreien? Die Entwicklungen rund um Google hätten gezeigt, wie wichtig das Thema ist und auch bleiben wird - darüber muss man sich im Klaren sein.(Gregor Kucera, derStandard.at vom 19.1.2010)