Der Faro de Melilla, der graue Leuchtturm an der Festungsklippe, ist das Wahrzeichen von Melilla.

Foto: Jan Marot

Unterkunft: Beste Adressen in Melilla sind der Parador (drei Sterne, Avenida Cándido Lobera, mit Panoramablick über die Stadt) und das Hotel Rusadir (vier Sterne, Calle Pablo Vallescá, 5, benannt nach der im 6. Jahrhundert vor Christus errichteten Kolonie der Phönizier) im Zentrum sowie das im Hafen gelegene Melilla Puerto - mit angenehmer Cafeteria. In der unteren Kategorie (mit seinem einzigen Stern definitiv unterdotiert) findet sich das Hotel Nacional in der nach dem Gründer der späteren Franco-Einheitspartei der Falange benannten Calle José Antonio Primo de Rivera.

Foto: Parador

"Tempel"-Tour vierer Religionen: Vier Religionen öffnen interessierten Reisenden in Kleingruppen stets sonntags von 10 Uhr bis 14 Uhr in der "Ruta de los Templos" die Türen ihrer Gebets- und Gotteshäuser. Von der Kathedrale über die Synagoge und den Hindu-Mandir bis zur Moschee verläuft der geführte Rundgang.
Nach Voranmeldung (Kosten vier Euro) beim örtlichen Tourismus-Info-Stand an der Plaza España bis Donnerstagmittag. Mindestteilnehmerzahl sechs Personen. Tel.: 0034/(0)952/97 61 51

Foto: Melilla Turismo

"Für einen marokkanischen Minztee müssen sie schon nach Marokko", rät der Kellner berberischer Abstammung im Fisch-Grill "Bodegas Madrid", während er Shrimps aus dem nahen Mar Chica wendet. In Melilla gebe es keine "echte Minze", die marokkanische Mentha spicata, sondern nur "hierba buena", ein Potpourri aus lokalspanischen Mentha-Arten, meint er.

Tausendundeine-Nacht-Flair findet sich in der spanische Exklave im Norden Afrikas abseits der Randbezirke kaum. Lediglich am zentralen Markt umschmeicheln einen orientalische Gewürznoten. Doch nahe der seit 1992 gesperrten Grenze zu Algerien gelegen, ist Melilla, verglichen mit dem strategisch wichtigeren Ceuta vis-à-vis von Gibraltar, die attraktivere Stadt.

Die vorgelagerten Felsen waren bereits in prähistorischen Zeiten besiedelt. Später besetzte Karthago die phönizische Hafenstadt Rusadir, den Römern folgten die Mauren des Al-Andalus, bis Melilla im September 1497 durch Don Pedro Estopiñán für die Grafen von Medina Sidonia an Spaniens "katholische Könige", Isabella von Kastilien und Ferdinand II. von Aragón, fiel.

Don Pedros Statue schwingt noch nahe dem Archäologischen Museum Eisenschwert und Banner zum Ansturm auf das Halbeiland - auf dem die Spanier eine uneinnehmbare Festung errichten ließen. Von diesem Bollwerk am Kap Tres Forcas haben sich die Spanier, umgeben von hohen Mauern und Türmen, gegen Berberattacken aus dem Landesinneren und Korsaren von der See gewehrt.

512 Jahre währt ihre Herrschaft über das 13 Quadratkilometer messende Afrika-Eck, umgeben vom Mittelmeer und Marokko, das nach wie vor Anspruch auf das Stadtgebiet erhebt. Innerhalb der Wehrbauten fasziniert die räumliche Enge des "El Pueblo", des "Dorfes", wie die Melillenses liebevoll ihre sukzessiv renovierte Altstadt nennen.

Kontore, Kanonen und Kirchen, darunter das einzige gotische Kreuzkuppelgewölbe Afrikas in der inmitten der Zitadelle gelegenen Capilla de Santiago. So geht es von der Iglesia de la Purísima Concepción (1687) hinab in ein Labyrinth aus Tunneln, den Cuevas del Conventico, die bis ans Meer reichen. Nahe den Wellen blickt man hinauf auf das Wahrzeichen, den Faro de Melilla, den grauen Leuchtturm an der Festungsklippe.

Farbenfroh ist nicht nur der Kontrast zu den "Schachtel"-Bauten bergan. Denn nachdem Melillas heutige Grenze per Kanonenschuss-Reichweite festgelegt worden war, begann ein typisch iberischer Bauboom. So ist Melilla zugleich ein Freilichtmuseum des Modernismus. Lediglich in Barcelona finden sich mehr Beispiele jener Architekturströmung des durch Antoni Gaudí weltberühmten Modernisme Català (ab 1880) und des Art déco. Farbenfrohe wie ornamentreiche Jugendstil-Varianten, die hier in besonderem Maße für Baufurore sorgten. Mehr als 900 Bauwerke zählt das Zentrum, konzentriert auf das "Goldene Dreieck", dem Barrio de los Héroes de España.

Bunt wie der Häuser Farben ist auch die Bevölkerung durchmischt. Zu Recht rühmen sich die Melillenses ihrer gelebten Religionsvielfalt. Auf das Multikulti-Marketing baut nicht nur das Terrassenkaffeehaus "Cuatro Culturas" am "Kulturenplatz", der Plaza de las Culturas. Gar ein Fünffach-Multikulti dominiert das Stadtbild und -leben an der Mündung des Río de Oro, denn Roma und Sinti gehören laut hiesigem Tourismusamt ebenso dazu wie Christen, Muslime, Juden und Hindus - sie alle sind quasi die "Corporate Identity" der Stadt.

Von den 70.000 Einwohnern - eine Zahl, die sich an manchen Tagen verdoppelt wegen des auf den Rücken marokkanischer Frauen lastenden Grenzhandels - sind über 40 Prozent Berber. Melilla war die erste autonome Gemeinschaft Spaniens, der mit Mustafa Aberchán von der linken Regionalpartei Coalición por Melilla ein muslimischer Provinzchef vorstand. Ihr Tamazingh-Berberarabisch soll gar kooffizielle Sprache werden.

Die sephardisch-jüdische Gemeinde, die seit der Zwangsvertreibung durch die katholischen Könige von der Iberischen Halbinsel anno 1492 im Maghreb teils ihr Exil fand, aber erst mit Ende des 19. Jahrhunderts wieder in Spaniens afrikanischer Exklave Fuß fassen konnte, zählt heute, stetig wachsend, mehr als 1000 Mitglieder. In den noch weihnachtlich geschmückten Straßen strahlt hell ein "Felíz Januka"-Schriftzug.

Die Hauptmoschee Mezquita Central "El Poligono" und die größte Synagoge Or Zaruah trennen wenige hundert Meter. Beide Gebetshäuser sind im "Modernisme" der 1920er-Jahre und vom lokalen Stararchitekten der Goldenen Ära Melillas, Nieto, errichtet worden.

In unmittelbarer Nähe finden sich auch die neoromanistische Kirche des Heiligen Herzens und der äußerlich unscheinbare, mit einem Täfelchen markierte hinduistische Mandir der Stadt. Dessen Türen wie die der sechs Synagogen, 14 Moscheen und neun Kirchen in Spaniens "Tor nach Afrika" am Fuße des 890 Meter hohen Monte Gurugú stehen offen.

Toleranz dominiert auch im kleinen Hotel Nacional in der nach dem Gründer von Francos Einheitspartei Falange, José Antonio Primo de Rivera, benannten Straße den Alltag der Rezeptionisten: Eingecheckt wird bei einem überzeugt christlichen Missionar, abends heißt es "Salam" und morgens "Shalom".

Doch trotz 2522 Sonnenstunden im Jahr und einem kilometerlangen Sandstrand: Melilla hat seine Schattenseiten. Stur zeigt sich Melillas Stadtverwaltung die Franco-Vergangenheit betreffend. Die Stadt war 1936, während der ersten Wochen des Putsches des späteren Caudillos gegen die Republik, bei der Verschiffung der Afrikalegionen nach Andalusien von strategischer Bedeutung. Und während in Spanien Monumente wie Straßennamen des Franquismus per Gesetz entfernt werden müssen, begrüßt Reisende am Hafen nach wie vor die Statue des kleinwüchsigen Diktators. Und in der Avenida Juan Carlos I. steht ein Monument mit Francos Propagandaphrase "Una grande libre".

Und den jahrhundertealten Wehrbauten folgte vor zehn Jahren der wohl markanteste: Melilla ist wie Ceuta von einem dreifachen Sicherheitswall umgeben - ein sieben Meter hoher Zaun, mit Bewegungsmeldern und Videoüberwachung. Er soll unüberwindbar für Flüchtlinge aus Afrikas ärmsten Staaten sein. Nirgendwo ist die "Festung Europa" als solche deutlicher erkennbar. (Jan Marot/DER STANDARD/Printausgabe/16./17.1.2010)