Straßburg - Die für 26. Jänner geplante Wahl der neuen EU-Kommission durch das Europäische Parlament ist am Dienstag geplatzt. Die bulgarische Außenministerin Rumiana Jeleva erklärte am Vormittag in letzter Minute ihren Rückzug von der Kandidatur als Kommissarin für humanitäre Hilfe. Zu dieser Zeit war bereits klar, dass die wegen unklarer Vermögenserklärungen umstrittene Politikerin im zuständigen Parlamentsausschuss keine Mehrheit bekommen, also auch nicht bestätigt werden würde.
An ihrer Stelle nominierte die bulgarische Regierung Kristalina Georgieva, Vizepräsidentin der Weltbank. Da sich die gelernte Ökonomin entsprechend vorbereiten muss, kann ihre Anhörung im EU-Parlament frühestens am 3. Februar stattfinden. Am 9. Februar soll dann die Kommission gewählt werden.
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Jeleva "blutiges Opfer im Kleinkrieg"
Der Christdemokrat Joseph Daul, Vorsitzender der mit 265 Abgeordneten weitaus größten Fraktion im Europäischen Parlament, Franzose und Landwirt, ist ein lebensfroher, besonnener Mann. Im Grunde ein Großkoalitionär mit den Sozialdemokraten, moderat im Reden. Als er aber am Dienstag kurz nach elf Uhr den großen Pressesaal in Straßburg betrat, um den ihm kurz zuvor übermittelten Verzicht der bulgarischen Außenministerin Rumiana Jeleva auf das Amt eines EU-Kommissars für humanitäre Hilfe zu verkünden, befand er sich stimmungsmäßig sichtlich im Ausnahmezustand: "Ich bin darüber traurig" , fing er an, er könne seine Parteifreundin jedoch verstehen. "Alle Anschuldigungen gegen sie sind falsch" , aber Sozialdemokraten, Liberale, Grüne hätten richtig "Jagd" auf sie gemacht, mit unbewiesenen Behauptungen, auf eine Frau unter 26 Kandidaten, empörte er sich.
Sie sei "Opfer eines politischen Kleinkrieges" , findet Daul, "Blut" sei geflossen, und man dürfe sich nicht wundern, wenn bald niemand mehr in Europa sich für ein Amt zur Verfügung stellen würde: "So eine Politik wollen wir nicht."
Die anderen könnten versichert sein, fuhr er fort: Seine Christdemokraten würden "keine weiteren Leichen fordern, kein weiteres Blut" , und andere umstrittene Kandidaten wie Maroš Šefèoviè (SP) oder die Liberale Neelie Kroes nicht zu Fall bringen.
Riss durch die Fraktionen
Das Anhörungsverfahren für die künftigen EU-Kommissare solle "so rasch wie möglich" abgeschlossen werden, damit man endlich eine handlungsfähige Kommission habe (siehe Wissen).
Das waren starke Worte, voller Verbitterung, wie man sie im EU-Parlament seit Ewigkeiten nicht mehr gehört hat. Sie sind deutlicher Ausdruck dafür, dass die Amtseinführung der neuen EU-Kommission unter Präsident José Manuel Barroso und deren Zusammenspiel mit den Parlamentariern wieder vom Start weg einen Knacks bekommt. Bereits 2004 hatte das Parlament gegen Barrosos Willen einen Kandidaten, den Italiener Rocco Buttiglione, verweigert. Barroso nahm den Rückzug von Jeleva mit knappen Erklärungen "zur Kenntnis" . Nun wolle er so schnell wie möglich die von der bulgarischen Regierung als Ersatz vorgeschlagene Vizedirektorin der Weltbank, Kristalina Georgieva, treffen, um sie auf die neue Funktion vorzubereiten. Die studierte Ökonomin arbeitet seit 1993 bei der Weltbank in Washington und ist Umweltexpertin. Die für 26. Jänner geplante Wahl der Kommission ist geplatzt.
Mit Jeleva hielt sich Barroso neben formellem Bedauern nicht lange auf. Diese klagte in der Begründung zum Rückzug (auch als Außenministerin) darüber, von SPE, Grünen und Liberalen "unfair" behandelt worden zu sein.
Dass sie keine Chance haben würde, vom Parlament bestätigt zu werden, hatte sich in der Nacht auf Dienstag abgezeichnet: 16 zu 13 gegen Jeleva stand es unter den Abgeordneten im Entwicklungsausschuss vor der Abstimmung. Der Rückzug sollte dem zuvorkommen. Unverständnis für die Kritik zeigte daher SP-Fraktionschef Martin Schulz: Die Kandidatin habe nicht entsprochen, um das festzustellen, seien die Anhörungen ja da. (Thomas Mayer, DER STANDARD, Printausgabe 20.1.2010)