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Zu tagelangen, blutigen Übergriffen auf afrikanische Arbeitsmigranten kam es Anfang Jänner im kalabresischen Rosarno

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Den Forderungen mancher Bewohner, die Migranten auszusiedeln, gaben die Behörden nach: Rund 300 Migranten wurden mit Bussen weggekarrt

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Rund 1000 Bewohner gingen in Rosarno auf die Straße: "Wir sind keine Rassisten"

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"Manchen Migranten sind immer wieder um das Haus herumgeschlichen und haben Ärger gemacht. Ich bin immer rausgegangen und hab' ihnen gesagt, dass sie gehen sollen. Vielleicht war ich dabei nicht höflich, aber das war's auch schon", sagt ein Barbesucher in Rosarno. Die Kamera der lokalen Internetzeitung Strill.it filmt eine Gruppe Herren, die bei einem Kaffee versucht, den Ruf ihrer Stadt zu verteidigen. Die 15.000-Einwohner-Stadt in der süditalienischen Region Kalabrien hatte Anfang Jänner Schlagzeilen gemacht, als Behörden und Bürger mehr als 1000 afrikanische Arbeitsimmigranten aus der Kleinstadt vertrieben hatten.

Damit hatte eine Treibjagd geendet, die mit Schüssen aus Luftpistolen gegen einen Marokkaner und einen Togolesen begonnen und mit 30 Verletzten geendet hatte (siehe Hintergrund).

In Rosarno bilden sich nun Bürgerkommitees, die sich gegen die Rassismus-Vorwürfe wehren. "Wir sind keine Rassisten", zitieren Medien Rosarnesen. 20 Jahre hätte man friedlich mit den Saisonarbeitern zusammengelebt, "und jetzt werden wir auch noch von den Medien kriminalisiert". Alessandra Tramontano, ärztliche Koordinatorin von Ärzte ohne Grenzen in Italien, war kurz nach den Unruhe in Rosarno. Was sie zu den Rassismus-Vorwürfen zu sagen hat, erzählte sie derStandard.at.

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derStandard.at: Sie haben sich bis zur Vertreibung um die Saisonarbeiter in Rosarno gekümmert, was passiert jetzt mit den Migranten?

Alessandra Tramontano: Die afrikanischen Migranten sind entweder von den Behörden weggebracht worden oder sind aus eigenen Stücken gegangen. Geblieben sind nur Vereinzelte, die schon vor den Ausschreitungen da waren und auch irgendwie verwurzelt sind in der Stadt, die also nicht in den Baracken gelebt haben. Die meisten sind jetzt im ganzen Land verstreut. Sie wurden kurz nach den Ausschreitungen von der Polizei in Asylzentren in andere Teile Süditaliens gebracht, wo ihr Status überprüft wurde. Manche sind geflüchtet, weil sie keine Aufenthaltsgenehmigung hatten. Die haben jetzt überhaupt nichts mehr. Manche sind in andere Teile des Landes, haben keine Arbeit und kein Geld, weil sie nicht mehr bezahlt worden sind, bevor sie weggebracht wurden.

derStandard.at: Einige von ihnen wurde ein Schutz-Status zugestanden, schrieb die Tageszeitung La Repubblica...

Alessandra Tramontano: Der Status wurde ihnen noch nicht zugestanden; das Verfahren läuft noch. Sie erhalten als Entschädigung eine einjährige Aufenthaltsgenehmigung. Das gilt aber nur für die, die schwer verletzt wurden. Es wurden aber nicht nur zehn Leute verletzt; viele sind geflohen und wurden erst gar nichts ins Krankenhaus gebracht.

derStandard.at: UNO, Politiker und Medien im In- und Ausland: Von allen Seiten werden Rassismus-Vorwürfe gegen Italien laut. Wie rassistisch ist das Land?

Alessandra Tramontano: In Italien gibt es, so wie in jedem anderen Land auch, Leute mit extremen Gesinnungen. Dass das ganze Land rassistisch ist, kann man so nicht sagen. Was aber schon stimmt, ist, dass in Italien momentan die Intoleranz gegen Andersartigkeit stärker wird. Rosarno ist dabei nur die Spitze des Eisbergs.

Quelle: Youtube/Ärzte ohne Grenzen

derStandard.at: Haben sich die Auseinandersetzungen in Rosarno abgezeichnet?

Alessandra Tramontano: Auch Anfang Dezember vergangenes Jahr sind in Rosarno Auseinandersetzungen dieser Art passiert. Vorfälle gab es auch in anderen Regionen Italiens. Aber im Dezember war es so, dass sich die Revolte schnell wieder gelegt hat. Bei den jüngsten Vorfällen kommt hinzu, dass die Saison eigentlich ohnehin praktisch schon wieder vorbei.

Das Klima war nicht die ganze Zeit über so schlimm. Wir waren sogar sehr überrascht darüber, wie sich die Situation entwickelt hat und wie sie eskaliert ist. Die kleinste Provokation hat gereicht, um die Gewalt überkochen zu lassen. Was überhaupt nicht nachvollziehbar ist, ist dass sie alle einfach aus Rosarno weggebracht wurden. Einige von ihnen wollten nicht weg, da sie für ihre Arbeit noch nicht bezahlt worden waren, andere fürchteten, verhaftet oder verschleppt zu werden, hatten aber große Angst und dachten, sie hätten keine andere Wahl, als wegzugehen. Die meisten haben eine Aufenthaltsbestätigung und damit das Recht, sich auszusuchen, ob sie in Rosarno bleiben wollen oder nicht.

derStandard.at: Die Polizei hat vergangene Woche 17 mutmaßliche Mitglieder der 'Ndrangheta-Mafia festgenommen, die die Krawalle provoziert hatten. Der Schrifsteller und Journalist Roberto Saviano, der aufgrund seiner Veröffentlichungen über die Mafia selbst unter Personenschutz lebt, sagt, dass die Migranten die einzigen seien, die sich gegen die Mafia auflehnen. Inwiefern hängt die Mafia mit den Lebensbedingungen der Saison-Arbeitern zusammen?

Alessandra Tramontano: Die Mafia ist unsichtbar, sonst wäre sie ja nicht die Mafia. Inwiefern sie darin verwickelt ist, kann ich also nicht sagen; das hat die Justiz zu entscheiden.

derStandard.at: Nützt es den Migranten in irgendeiner Form, dass das Problem an die Öffentlichkeit gekommen ist?

Alessandra Tramontano: Ich wünsche mir eine intensive Diskussion über die Umstände dieser Migranten, die hier leben und arbeiten. Der Großteil von ihnen hat schließlich Aufenthaltsgenehmigungen. Sie leben unter Konditionen, die extrem prekär sind. Und jetzt verschiebt sich das Problem, das Rosarno hatte, einfach auf andere Gebiete. Die müssen ja trotzdem jeden Tag essen und sich etwas anziehen. Ich hoffe wirklich, dass Maßnahmen ergriffen werden, damit sich ihre Situation verbessert.

derStandard.at: Wie wahrscheinlich ist das angesichts der bisherigen Reaktionen der Regierung: Reformminister Umberto Bossi (Lega Nord) hat auf den Rassismus-Vorwurf Ägyptens mit den Worten "Schaut euch mal an, wie die die Christen behandeln" reagiert. Nimmt einem das nicht jegliche Hoffnung auf Besserung?

Alessandra Tramontano: Nein, die Hoffnung stirbt zuletzt. (fin, derStandard.at, 21.1.2010)