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Bosnien-Herzegowinas Ministerpräsident Nikola Špirić.

Foto: AP/Thierry Charlier

Standard: Der Premier der Republika Srpska (RS) Milorad Dodik hat kürzlich gesagt, dass die Alternative die Auflösung von Bosnien-Herzegowina sein könnte, wenn es keine Lösung gibt. Ist das für Sie eine Alternative und würden Sie ein Referendum dazu unterstützen?

Špirić: Die RS könnte als Motor für Bosnien funktionieren. Warum sollte die RS nicht so etwas was sein wie Bayern für Deutschland? Aber wenn es keinen EU-Weg für Bosnien gibt, dann werden andere Alternativen entwickelt. Zum Beispiel religiöser Parallelismus oder Radikalismus oder der Versuch einen Scharia-Staat aufzubauen. Dodik will einfach den Weg in die EU beschleunigen. Und dann fragt er die logische Frage: Wenn die Bosniaken so passiv sind, vielleicht haben Sie es gar nicht eilig, der EU beizutreten?

Standard: Sind Sie für ein Referendum über die Auflösung von Bosnien?

Špirić: Wir müssen uns mit EU-Fragen beschäftigen, nicht mit solchen Themen wie einem Referendum. Überhaupt, was würde ein Referendum bedeuten, wenn niemand es unterstützt?

Standard: In der RS würden die Leute so ein Referendum unterstützen.

Špirić: Ja, aber jede Lösung muss auch Alliierte außerhalb der RS haben. Wann immer Dodik das erwähnt, macht er das, weil irgendwer anderer die Existenz der RS negiert. Wenn man die Integrität von Bosnien erhalten will, muss man die Verantwortung unter den bosniakischen Führer stärken. Im früheren Jugoslawien waren die Serben die Mehrheit und sie waren nicht besonders interessiert, wie die Kroaten, Slowenen oder Mazedonier leben. Und deshalb haben wir heute einen unabhängigen Staat. Die bosniakische politische Elite muss verstehen, dass die RS Teil von Bosnien ist. Das unverantwortliche Benehmen der bosniakischen politischen Elite könnte natürlich eine Art von Unabhängigkeit für die RS bilden.

Standard: Das ist schon wieder eine Drohung.

Špirić: Nein, das ist keine Drohung. Die Zentralregierung muss mehr Verantwortung übernehmen. Aber die RS möchte gefragt werden, wenn es um die Zukunft geht. Sie will an dem Prozess teilnehmen. Ich glaube das ist besser, als irgendetwas zu tun in Richtung Unabhängigkeit. Aber es ist nicht gut, wenn jede Idee, die aus Banja Luka kommt, in Sarajevo sofort als schlecht oder als Drohung wahrgenommen wird. Ich habe keinen Grund Dodik zu verteidigen, aber er ist der einzige, der so gute Wahlergebnisse hat. Ich wünschte, die Bosniaken hätten dieselbe Legitimität.

Standard: Der Versuch eine Verfassungsreform bei den Gesprächen in Butmir durchzubringen, ist bisher gescheitert. Weshalb?

Špirić: Ich habe über den Inhalt des Butmir-Pakets von den Medien erfahren. Das ist die Doppelgesichtigkeit der Internationalen Gesellschaft. Auf der einen Seite sagen sie, die Institutionen des Staates müssen gestärkt werden und auf der anderen Seite, vermeiden sie zentrale Institutionen wenn sie die Verfassungsreform diskutieren. Wann immer die Internationale Gemeinschaft hier in Bosnien etwas initiiert und es dann keine Resultate gibt, sagen sie, es handle sich um einen Prozess. Dieses Land ist aber müde von den Experimenten. Ich dachte eigentlich, dass uns unsere internationalen Freunde jetzt helfen werden, nachdem wir alle Bedingungen für die Visaliberalisierung erfüllt haben, das in Brüssel als Erfolg zu verkaufen.

Standard: Die EU sagt, die Bedingungen sind nicht alle erfüllt.

Špirić: Aber es ist nicht fair, wenn sie die Visaliberalisierung an den Butmir-Prozess koppeln. Ich glaube, dass es produktiver gewesen wäre, wenn man sich zuerst auf die Visaliberalisierung, dann auf die Bedingungen zur Schließung des Büros des Hohen Repräsentanten der Internationalen Gemeinschaft (OHR) konzentriert hätte. Erst dann hätte man die Verfassungsreform beginnen sollen. Butmir kam nicht zur richtigen Zeit.

Standard: Es gibt Kritik, dass die Gesetze, die vor der Visaliberalisierung nötig sind, verzögert wurden.

Špirić: Sie haben recht, wir hätten das schneller machen können. Andererseits sind wir das letzte Land in der Region, das den Fahrplan zur Visaliberalisierung überhaupt bekommen hat. Und ich bin überzeugt, dass Bosnien in einigen Bereichen mehr getan hat und bessere Resultate hat, als einige Nachbarn, die schon eine positive Bewertung für eine Visaliberalisierung bekommen haben. Ich bitte in Brüssel darum, den Prozess zu beschleunigen. Wenn Bosnien zu lange nicht Richtung EU geht, dann werden alternative Lösungen gesucht werden, die nicht im Interesse des Landes sind.

Standard: Was ist ihr Vorschlag für eine Verfassungsreform?

Špirić: Die Serben sind nicht gegen eine Verfassungsreform. Man kann Bosnien als „kranken Mann" betrachten. Wenn ein kranker Mann sich erholt, dann braucht er kleine Mahlzeiten, kleine Portionen Ich glaub, dass man das Staatspräsidium und das Parlament reformieren kann. Die bosnische Elite war bisher passiv, wenn es darum ging Institutionen zu bilden oder zu stärken, das war gepaart mit dem Ziel, die internationale Präsenz solange als möglich in Bosnien zu behalten. Die Internationale Gemeinschaft muss aber aufhören die Rolle eines großen Bruders zu spielen.

Standard: Wann soll das Büro des Hohen Repräsentanten (OHR) geschlossen werden?

Špirić: Wenn Sie mich fragen: Heute. Der Mechanismus hat sich erschöpft, weil er viel politisches Schmarotzertum erzeugt hat. Die politische Elite wartet darauf, dass jemand anderer für sie Entscheidungen trifft. Es gibt einen Dialog zwischen wichtigen politischen Figuren und dem Hohen Repräsentanten, aber es gibt keinen internen politischen Dialog, den wir dringend brauchen.

Standard: Viele politische Beobachter sind der Meinung, dass das Veto, wonach eine der zwei Entitäten alle Entscheidungen blockieren kann, abgeschafft werden sollte.

Špirić: Das Entitäts-Veto ist laut dem Dayton-Vertrag obligatorisch. Es ist ein regionaler und kein nationaler Schutz. Aber wer hat aus dem Entitäts-Veto ein ethnisches Veto gemacht? Zur Zeit gibt es eine komplette nationale Polarisierung, weil die Bosniaken, die in Banja Luka leben eher die Interessen von Sarajevo vertreten als von Banja Luka. Ich glaube, dass die Rückkehr der Flüchtlinge das Problem definitiv lösen würde, auch ohne Verfassungsänderung. Aber die RS will das Entitäts-Veto nicht aufgeben. Das Problem ist dass die Kroaten kein Entitäts-Veto haben. Ich würde diesen regionalen Schutz auch den Kantonen geben. Die zentralen Behörden müssen lernen, dass die Macht nicht nur in der Zentrale liegt.

Standard: Das Problem ist in Bosnien genau das Gegenteil, dass nämlich die Zentrale viel zu wenig Macht hat. Soll alles so bleiben wie es ist?

Špirić: Es ist möglich, dass künftig die Präsidentschaft alle 18 Monate rotiert. Und wir können im Rat der Minister Modifizierungen machen, um die Anzahl der Ministerien zu erhöhen und den Koordinierungsmechanismus in EU-Fragen auf der zentralen Ebene zu gewährleisten. (Adelheid Wölfl, DER STANDARD, Printausgabe 20.1.2010)