"Meine Karriere war alles andere als geradlinig. Weil es keine festen Stellen gab, bin ich immer wieder aus dem Uni-Bereich rausgefallen": Herlinde Pauer-Studer, Philosophin.

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Der Standard: Sie sind die erste und bislang einzige Geisteswissenschafterin aus Österreich, die einen ERC Advanced Grant gewonnen hat (siehe Artikel unten). Haben Sie eine Erklärung dafür?

Pauer-Studer: Ich kann nur sagen, was bei der Einreichung wichtig ist: nämlich der bisherige Track-Record sowie das vorgeschlagene Projekt, das innovatives Potenzial haben muss. Auf Internationalität wird dabei größter Wert gelegt, und die Publikationsliste sollte möglichst viele Artikel in guten Zeitschriften mit Gutachtersystem aufweisen. Solche Anträge sind außerdem sehr aufwändig. Mich hat dabei das Forschungsservice der Universität Wien vorbildlich unterstützt.

Der Standard: Ihr Projekt heißt "Transformationen normativer Ordnungen". Was hat man sich darunter vorzustellen?

Pauer-Studer: Beim Projekt geht es darum, zu analysieren, wie politische Systeme in totalitäre oder diktatorische Ordnungen abgleiten. Der spezielle Fokus liegt dabei auf den gesetzlichen Verschiebungen im NS-System.

Der Standard: Wie kamen Sie auf dieses Thema?

Pauer-Studer: Ich habe mich schon seit vielen Jahren mit dem NS-System beschäftigt, aber eher aus allgemeinem Interesse. Mit meinen fachwissenschaftlichen Arbeiten zu Fragen der Ethik und der Moralphilosophie hatte das lange Zeit nichts zu tun. Das änderte sich erst durch meine Forschungsaufenthalte an der Harvard-Universität und der New-York-Universität. Da sah ich, dass es in der rechts- und moralphilosophischen Aufarbeitung des NS-Systems viele Lücken in der aktuellen angloamerikanischen Diskussion gibt. Im Grunde war Hannah Arendt die Letzte, die sich aus philosophischer Perspektive eingehender damit beschäftigt hat.

Der Standard: Wie erklären Sie sich das?

Pauer-Studer: Das hat sicher auch damit zu tun, dass auf der abstrakten Verfassungsebene in Nordamerika die Grundwerte von Freiheit und Gleichheit in den letzten zwei Jahrhunderten nie infrage gestellt wurden. Das NS-Rechtssystem hat man deshalb aus rechtsphilosophischer Perspektive einfach als das plakative Gegenteil eines rechtsstaatlichen Systems gesehen - ohne die Binnenstruktur zu analysieren, wie es letztlich zu den radikalen Verschiebungen und zum Holocaust kommen konnte.

Der Standard: Weiß man das nicht schon?

Pauer-Studer: Aus der Perspektive der Zeitgeschichte ist das mittlerweile bestens aufgearbeitet. Es sind in der Rechtsphilosophie aber noch viele Fragen offen und viele Dokumente unaufgearbeitet. Man kann davon ausgehen, dass es im NS-System eine Art Doppelstruktur gab: einerseits Bereiche, die nach rechtsstaatlichen Verfahren funktionierten und wo nicht immer im Sinne des Regimes entschieden wurde. Andererseits existierten Strukturen, um ideologisch in diese Bereiche eingreifen zu können.

Der Standard: Sie betonen immer wieder die angloamerikanischen Diskussionen. Sind diese so wichtig?

Pauer-Studer: In der Philosophie im Allgemeinen und im Speziellen in meinen Forschungsbereichen - also der Analytischen Philosophie oder der Ethik - ist es sicher so, dass die wesentlichen Werke und Impulse aus dem angloamerikanischen Bereich kommen. Es bedeutet ja nicht den Tod der Philosophie, wenn deutschsprachige Philosophen Artikel auf Englisch schreiben - im Gegenteil.

Der Standard: Wo erscheinen die?

Pauer-Studer: Es ist in der Philosophie mehr oder weniger unumgänglich geworden, in Fachzeitschriften mit Gutachtersystem zu publizieren. Auch da kommen die meisten mittlerweile führenden Journale aus dem angloamerikanischen Bereich. Von solchen Zeitschriften erhält man Gutachten anonymer Fachkollegen, meist um den Text noch zu überarbeiten, was wesentlich zur Qualität der Arbeit beiträgt.

Der Standard: Beim Blick auf Ihre Karriere fällt auf, dass Sie für eine Philosophin schon früh ins Ausland gingen. Wie kam das?

Pauer-Studer: Ich habe in Salzburg Philosophie studiert, und da gab es eine starke angloamerikanische Ausrichtung und Kooperationen mit US-Unis. Daher ging ich noch während des Studiums nach Toronto. Danach war meine Karriere alles andere als geradlinig. Weil es keine festen Stellen gab, bin ich immer wieder aus dem Uni-Bereich rausgefallen.

Der Standard: Und wie haben Sie wieder hineingefunden?

Pauer-Studer: Für mich war ganz entscheidend, dass in den 1990er-Jahren unter dem damaligen Wissenschaftsminister Busek Habilitations- und Förderstipendien für Frauen eingerichtet wurden. Das hat mir ermöglicht, mich zu habilitieren und wieder in die USA zu gehen. Und zuletzt wurden auch meine USA-Aufenthalte immer wieder von meiner Fakultät und der Universität Wien unterstützt, was für den ERC-Grant auch sehr hilfreich war.

Der Standard: Wie schätzen Sie die Lage Ihres Fachs, der Philosophie, heute ein?

Pauer-Studer: Ich denke, dass die Philosophie heute insbesondere in ihrer Zusammenarbeit mit angrenzenden Disziplinen wie Rechtswissenschaft, Ökonomie oder Politikwissenschaft sehr wichtig ist. Und in Fragen der Ethik etwa geht die Relevanz noch weit darüber hinaus. Ich habe zum Beispiel in meinen Vorlesungen zur Ethik gewöhnlich ein Drittel sehr interessierter Biologie-Studenten.

Der Standard: Und wie sieht der Job-Markt für Absolventen aus?

Pauer-Studer: In der Philosophie sind die Möglichkeiten für akademische Jobs sehr gering, das gilt weltweit. Aber sonst sehe ich für gute Absolventen von guten Unis ganz passable Möglichkeiten. Gerade internationale Firmen haben für den Managementbereich gerne Absolventen mit einem philosophischen Hindergrund, weil die sich entsprechend auch mit Multikulturalismus oder anderen Moral- und Wertevorstellungen gut auskennen.
(DER STANDARD, Printausgabe 20.01.2010)