Wer vor Gericht auf sein Recht pocht, kann den Ehepartner in Österreich allgemein begreifbar erregen: Derart irritierend und die Frauen verunsichernd urteilte ein Wiener Richter.

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Eine verstörende Grundlage für eine "allgemein begreifliche Gemütsbewegung" – Ein Kommentar von Christina Keinert*

Um ein Urteil in einem österreichischen Strafverfahren hat sich eine rege juristische und rechtspolitische Diskussion entzündet: Ein mit den Scheidungspapieren konfrontierter Mann habe seine (Noch-)Ehefrau mit einem Messer angegriffen und durch ein Dutzend Stiche in Kopf, Hals und Brust schwer verletzt. Verurteilt wurde er von einem Wiener Gericht nicht wegen versuchten Mordes, sondern bloß wegen versuchten Totschlags. Argument: Nach der türkischen Herkunftskultur des Mannes sei eine "allgemein begreifliche Gemütsbewegung" vorgelegen. **

Das österreichische Strafrecht geht bei der sogenannten Affekttat davon aus, dass ein von einer "heftigen Gemütsbewegung" Erfasster nur eingeschränkt schuldfähig ist und daher ein geringeres Strafmaß erhalten soll; diese Gemütsbewegung, nicht die Tat selbst, muss "allgemein begreiflich" sein.

Stereotyp als Rechtsgut

Ob allerdings kulturrelativistische Argumentationen zur leichteren "Erregbarkeit" von Menschen mancher Herkunftskulturen (an sich schon eine unerträgliche Stereotypisierung) einerseits sachgerecht und andererseits mit den Grundwertungen unserer Rechtsordnung vereinbar sind, besonders bei exzessiver Gewaltausübung in Reaktion auf eine "Provokation", bedarf dringend fachlicher und gesellschaftlicher Diskussion.

Hier soll nur auf ein besonders verstörendes Element eingegangen werden, nämlich die Anwendung der Privilegierung als "Affekttat" im Fall einer scheidungswilligen Frau: Der Lehrbuchfall der Affekttat ist das Überraschen des Ehepartners beim Ehebruch. Die "heftige Gemütsbewegung" des oder der Betrogenen wird grundsätzlich als "allgemein verständlich" angesehen. Der Betrug eines Ehegatten verletze üblicherweise die eheliche Treuepflicht.

Im Gegensatz dazu beruht jedoch das Erheben der Scheidungsklage auf einem gesetzlichen Recht: Die Ehe ist ein (besonderer) zivilrechtlicher Vertrag, der von jedem Ehegatten unter gewissen Voraussetzungen beendet werden kann.

Dass ein Gericht diese rechtliche Möglichkeit als Affront ähnlich dem Ehebruch wertet, ist mehr als befremdlich: Die Reformen des Ehe- und Scheidungsrechts der letzten Jahrzehnte hatten ja das Ziel, niemanden in einer unglücklichen Ehe "gefangen" zu halten; im Ergebnis lässt sich jetzt eine Scheidung auch ohne konkreten Grund vonseiten des Ehepartners durchsetzen.

Hinzu kommt: Österreich hat sich in völkerrechtlichen Verträgen, insbesondere dem Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau (CEDAW) verpflichtet, alle Maßnahmen zur "Sicherung der vollen Entfaltung und Förderung" der Frau unter anderem in der Ehe, im Familienleben sowie hinsichtlich Gewaltfreiheit und Auflösung der Ehe zu sichern.

Pikanterweise wurde Österreich bereits in der Vergangenheit vom CEDAW-Komitee verurteilt (Rechtsfälle Yildirim gegen Österreich und Goekce gegen Österreich): Im Fall zweier im Scheidungsverfahren von den Ehemännern bedrohter und in der Folge sogar ermordeter Frauen haben die österreichischen Strafverfolgungsbehörden positive Schutzpflichten verletzt. Sie hätten nämlich die tatsächliche Gewährung dieser Konventionsrechte auch gegenüber privaten Tätern sicherzustellen gehabt. Die österreichische Justiz wurde also auf internationaler Ebene bereits gerügt, zumal für Frauen das Trennungsverfahren oft lebensgefährlich ist.

Migrantinnen weniger gleich?

Das hier besprochene Strafurteil hat negative Signalwirkung auch im Sinn einer weiteren Verletzung dieser Schutzpflichten: Wie soll eine Frau in der Ausübung all ihrer Rechte Gleichheit erlangen, wenn der Staat den schweren tätlichen Angriff ihres Mannes als Ausdruck "allgemein begreiflicher" Gemütsbewegung wertet und damit Verständnis für die Beschränkung der Entscheidungsfreiheit von (wenigstens bestimmten?) Frauen suggeriert? Können sich Frauen, besonders Migrantinnen, also nicht darauf verlassen, in allen Bereichen des Lebens inklusive der Ehe von der österreichischen Justiz geschützt zu werden?

Dieses verstörende Urteil widerspricht somit Wertungen des innerstaatlichen Rechts, vor allem aber internationalen Menschenrechtsverpflichtungen Österreichs.

**(Die Aussagen stehen unter dem Vorbehalt, dass sie sich nur auf die bisher in den Medien berichteten Grundaussagen des Strafurteils stützen können.)
(DER STANDARD, Printausgabe 20.01.2010)