Ausgewertet werden sie von Geoinformatikern, die nicht nur im Katastrophen-Management, sondern auch bei Krisen und Konflikten für neue Sichtweisen sorgen.
Dirk Tiede sitzt derzeit den ganzen Tag über Satellitenbildern von Haiti. Der Experte vom Salzburger Zentrum für Geoinformatik (Z_GIS) wurde vom Roten Kreuz und einer UN-Organisation beauftragt, aktuelle Schadenskarten und Analysen der Passierbarkeit von Straßen zu erstellen. Momentan beschäftigt er sich mit dem bisher weniger erfassten südlichen Teil des Katastrophengebiets, um möglichst rasch Abschätzungen über die Schäden, die das Beben am 12. Jänner verursacht hat, an die Hilfsorganisationen weitergeben zu können.
"Im Katastrophenfall werden die wichtigsten Informationen immer vorerst manuell aus den Bildern abgelesen. Wir versuchen, die Satellitenbilder so aufzubereiten und die Algorithmen so zu verbessern, dass Informationen über Zerstörungen automatisiert extrahiert werden können", schildert Tiede, der sich im Rahmen des EU-Projektes G-Mosaic (siehe Wissen) mit "rapid mapping", der raschen Bereitstellung von Karten für das Krisenmanagement, befasst. Jetzt gelte es vor allem, möglichst rasch Vorher-nachher-Vergleiche anzustellen, um die Gebiete mit den größten Zerstörungen ausfindig zu machen.
Seit das Erdbeben die Insel erfasst hat, gehen von Satelliten fotografierte Bilder um die Welt und machen so das ganze Ausmaß der Zerstörung sichtbar. Auf Google Earth posten User Informationen und verlinken sie mit Bildern. Für die professionelle Auswertung der Daten aus dem All sind Geoinformatiker zuständig. Die räumliche Darstellung, verbunden mit der Visualisierung von Bevölkerung, Verkehrswegen, Krankenhäusern etc. dienen als wichtige Entscheidungsgrundlage für die Helfer. Auch wenn es in Haiti nach wie vor Probleme bei der Verteilung der Lebens- und Hilfsmittel gibt: "Die Datenlage ist deutlich besser, als sie etwa bei Erdbeben in Pakistan oder China war", sagt Dirk Tiede.
Eine Frage der Auflösung
"Die Satellitenbilder sind so hoch aufgelöst wie noch nie, es kann bis auf einen halben Meter hineingezoomt werden. Außerdem werden sie von den kommerziellen Satellitenbetreibern kostenlos zur Verfügung gestellt", betont Tiede. Das ist, auch dank der International Charter Space and Major Disasters, welche die Mitglieder zu einer raschen Weitergabe von Satellitenbildern im Katastrophenfall verpflichtet, immer selbstverständlicher.
"Schnell hochauflösende Bilder zu bekommen, die nicht durch Wolkendecken oder Regen beeinträchtigt sind, ist oft die größte Herausforderung", bestätigt Christoph Aubrecht, Geoinformatiker am Austrian Institute of Technology (AIT). Zudem fliegen nicht zu jeder Zeit Satelliten über einen bestimmten Ort. Wetterunabhängig sind neben Radarsatelliten auch Laserscanner: Dabei werden von einem Flugzeug aus Impulse ausgesendet, deren Reflexion von der Erde genau Auskunft über Höhenverhältnisse und damit Zerstörungen geben. "Das ist aber immens teuer", räumt Aubrecht ein.
Modelle für Erdbebenrisiko
In einem aktuellen Projekt erarbeitet Aubrecht mit portugiesischen Kollegen Modelle für das Erdbebenrisiko der Bevölkerung in der Stadtregion Lissabon. "Normalerweise werden dafür Volkszählungsdaten herangezogen, die aber nur darüber Auskunft geben, wo sich die Menschen bei Nacht aufhalten", erklärt Aubrecht. "Wir haben Pendlerströme und Arbeitsplätze miteinbezogen und errechnet, wie viele Menschen sich in den Gefahrenzonen aufhalten." Damit kann ermittelt werden, welche Gebiete von einem Erdbeben am meisten betroffen wären – abhängig von der Tag- oder Nachtzeit.
Die Arbeit der Geoinformatiker spielt aber nicht nur beim Katastrophenmanagement eine Rolle, sondern auch in der Sicherheitspolitik, etwa bei der Beobachtung und Beurteilung von regionalen Krisen und Konflikten. Peter Zeil, Projektmanager am Z_GIS, hat mit seinem Team am Beispiel des Flüchtlingslagers in Darfur im Sudan Methoden entwickelt, wie anhand von Satellitendaten annähernd die Bevölkerungszahl errechnet werden kann. "Es geht darum, zu zeigen, wie sich Flüchtlingslager entwickeln und wie sie sich auf die Umwelt und die Ressourcen auswirken, etwa auf Feuerholz, landwirtschaftliche Flächen zur Ernährungssicherung und Wasserressourcen", schildert Zeil.
Basierend auf Erfahrungen aus vergangenen Ereignissen versuchen Geoinformatiker, das Risiko für künftige Konflikte im Vorhinein abzuschätzen und Indikatoren dafür zu finden. "Wir betrachten etwa, ob es einen Zusammenhang gibt zwischen Umwelteinflüssen wie Versteppung oder Landübernutzung und Konflikten", sagt Zeil. "Die Ausbeutung von Rohstoffen etwa ist ganz klar verbunden mit Konflikten. Mittels Satelliten beobachten wir daher den illegalen Abbau von Metallen und illegalen Holzeinschlag."
Geodaten können aber auch dazu dienen, strategisch wichtige Infrastruktur zu schützen oder Täterprofile zu erstellen. Das Research Studio iSpace hat im Rahmen des Sicherheitsforschungsprogramms Kiras des Infrastrukturministeriums eine Studie erstellt, was Geoinformation dazu beitragen kann. Die Forscher verfolgen etwa die Spuren von Serieneinbrechern oder erstellen mithilfe von Sensoren ein Lagebild der öffentlichen Sicherheit. "So können Messstationen automatisch eine Meldung aussenden, wenn ein verdächtiger Wert auftritt", erklärt iSpace-Leiter Thomas Blaschke. Derzeit sind die Blicke der Geoinformatiker auf Haiti gerichtet – um für die nächste Katastrophe besser gerüstet zu sein. (Karin Krichmayr/DER STANDARD, Printausgabe, 20.01.2010)