"Ich denke nicht, dass der Ombudsmann die Macht haben sollte Sanktionen zu verhängen. Dann das ist es was uns von einem Gericht unterscheidet."

Foto: derStandard.at/Eder

Der Grieche Diamandouros ist seit 2003 Ombudsmann. Heute entschied das EU-Parlament, dass er auch in den kommenden vier Jahren die Beschwerden der EU-Bürger entgegennimmt.

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Das EU-Parlament hat heute Mittag den bisherigen EU-Ombudsmann Diamandouros im Amt bestätigt. Seit 2003 ist der Grieche P. Nikiforos Diamandouros der EU-Bürgerbeauftragte. Das wird er nun auch für bis 2014 bleiben. Außer ihm kandidierten Vittorio Bottoli, der Ombudsmann der Region Veneto und Pierre-Yves Monette, der zuletzt Ombudsmann in Belgien war.

Beim Ombudsmann kann sich jeder EU-Bürger über Missstände bei den EU-Institutionen beschweren. Diamandouros und sein Team bearbeiten bis zu 3.800 Fälle im Jahr. In den meisten Fällen beschweren sich die EU-Bürger über die fehlende Transparenz von EU-Institutionen. Der Ombudsmann kann keine Sanktionen verhängen. Und darüber ist Diamandouros nicht unglücklich. Warum erklärt er im Gespräch mit derStandard.at.

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derStandard.at: Wie viele Beschwerden bekommen Sie in einem Jahr und hat deren Anzahl in den vergangenen Jahren zugenommen?

Diamandouros: Ich bekomme jedes Jahr zwischen 3400 und 3800 Beschwerden. Nach der EU-Erweiterung im Jahr 2004 haben die Fälle um 55 Prozent zugenommen. In den vergangenen Jahren hat sich die Zahl der Fälle auf diesem Level stabilisiert.

derStandard.at: Die Zahl der Mitgliedsstaaten hat sich 2004 aber nicht um 55 Prozent erhöht?

Diamandouros: Die steigende Zahl an Fällen spiegelt nicht genau die Zahl der Bevölkerungszunahme wieder.

derStandard.at: Sind die Beschwerdenanzahlen je nach Regionen unterschiedlich?

Diamandouros: Es gibt zwei Möglichkeiten darüber nachzudenken: Nimmt man die absoluten Zahlen ist Deutschland Nummer eins - Deutschland hat auch die meisten Einwohner in der EU. Berücksichtigt man die Bevölkerungszahlen, kommen die kleinen Länder zuerst: Malta, dann Zypern, Luxemburg und Belgien.

derStandard.at: Worum drehen sich die meisten Fälle?

Diamandouros: Es gibt vier große Kategorien. Die größte davon - mit 36 Prozent aller Beschwerden - ist fehlende Transparenz. Ich selbst sehe mich als der Wächter von guter Verwaltung und als ein Wächter von Transparenz - denn in diesem Bereich habe ich kein Monopol. Transparenz ist für die Bürger extrem wichtig.

derStandard.at: Wie lang dauert es von der Einreichung der Beschwerde, bis Sie und ihr Team zu einem Ergebnis kommen?

Diamandouros: Dieses Jahr lag die Durchschnittsdauer für einen Fall bei siebeneinhalb Monaten. Es gibt auch einfachere Fälle, die wir in weniger als drei Monaten abschließen können. Schwierigere Fälle können bis zu zwei Jahre dauern. In den vergangenen zwei Jahren haben wie die Durchschnittsdauer senken können. Vergangenes Jahr lag sie noch bei über zwölf Monaten.

derStandard.at: Wie haben Sie das geschafft? Mehr Leute eingestellt?

Diamandouros: Nein, wir haben nur die vorhandenen Ressourcen besser genutzt. Wir haben die Entscheidungen vereinfacht, damit es für die Bürger leichter ist, diese zu lesen und zu verstehen. Wir haben den Seitenumfang der Entscheidungen gekürzt, und die Rechtsabteilung ist angehalten worden, einfaches deutliches Englisch zu schreiben. Denn alle unsere Entscheide werden zuerst auf Englisch verfasst und dann in die 23 offiziellen Sprachen übersetzt.

derStandard.at: Was passiert, wenn eine Institution nicht auf ihren Entscheid reagiert?

Diamandouros: In den meisten Fällen kooperieren die Institutionen.

derStandard.at: Aber Sie sind mehr oder weniger auf deren guten Willen angewiesen?

Diamandouros: Ja, ich kann ihnen meine Sichtweise nicht aufzwingen, ich muss sie überzeugen. Das ist der große Unterschied zwischen einem Ombudsmann und einem Gericht. Deswegen muss ich besonders gut darin sein zu überzeugen.

derStandard.at: Ist es jemals passiert, dass die Institutionen nicht reagiert haben?

Diamandouros: Sicher. Obwohl es sehr oft Einigungen gibt, gibt es auch Fälle, in denen die Institutionen von ihrem Recht Gebrauch machen, nicht zu tun was ich ihnen vorschlage. Wenn das passiert, ist meine stärkste Waffe in die Öffentlichkeit zu gehen und einen „Sonderbericht" an das EU-Parlament zu schicken. Während der 15 Jahre, die es den Ombudsmann gibt, gab es 15 solcher „Sonderberichte" an das EU-Parlament.

derStandard.at: Was war der Anlass für einen der jüngeren „Sonderberichte"?

Diamandouros: In diesem Fall ging es um Transparenz. Es gab vor kurzem auch eine Entscheidung des EuGH, die unsere Position stärkt. Das war der Fall „Bavarian-Lager". Der britische Biererzeuger „Bavarian-Lager" hatte Wettbewerbs-Probleme. Die Kommission berief ein Treffen zu dem Fall ein. Vertreter der Industrie waren anwesend - aber nicht der Inhaber von Bavarian-Lager. Der Inhaber wollte anschließend wissen, wer anwesend war. Die Kommission verweigerte die Herausgabe der Namen der Teilnehmer mit der Begründung, die Daten seien privat. Der Inhaber von Bavarian-Lager beschwerte sich bei uns und wir kamen zu dem Schluss, die Kommission müsse die Daten herausgeben. Die Kommission reagierte nicht auf unseren Entscheid. Wir haben einen „Sonderbericht" erlassen, der vom Parlament angenommen wurde. Die Kommission weigerte sich weiterhin. Der Inhaber von Bavarian-Lager ging vor den EuGH und hat in erster Instanz Recht bekommen. Die Kommission hat Berufung eingelegt und im Oktober dieses Jahres hat der Generalstaatsanwalt des EuGH bekannt gegeben, die Namen sollten bekannt gemacht werden. Wir erwarten die diesbezügliche Entscheidung des Gerichts im Jänner 2010.

derStandard.at: Vor kurzem gab es die Entscheidung des Ombudsmanns über die Beschwerde von Bürgerinitiativen über die nachträgliche Umweltverträglichkeitsprüfung beim Ausbau des Wiener Flughafens. Denken Sie die Kommission wird ihre Entscheidung beachten?

Diamandouros: Noch ist das Verfahren in der Kommission nicht abgeschlossen. Sobald das Verfahren aber abgeschlossen ist, wird die Kommission Bericht erstatten. Und dann können wir bewerten, ob die nachträgliche Umweltverträglichkeitsprüfung rechtmäßig war.

derStandard.at: Haben sich die Institutionen im Laufe der Zeit verändert?

Diamandouros: Die Institution des Ombudsmannes hat den Institutionen sicherlich geholfen, sich ihren Verpflichtungen mehr Bewusst zu werden. Die Institutionen beginnen langsam zu verstehen, dass sie auch Dienstleistungen zu erbringen haben. Es hat eine Zunahme von Entschuldigungsbriefen gegeben. Auch Kompensationszahlungen haben zugenommen.

derStandard.at: Wünschen Sie sich manchmal mehr Macht zu haben?

Diamandouros: Ich denke nicht, dass der Ombudsmann die Macht haben sollte Sanktionen zu verhängen. Dann das ist es was uns von einem Gericht unterscheidet. Es braucht keine zwei Institutionen, die das Gleiche machen. In einer guten demokratischen Gesellschaft sollten die Bürger die Wahl haben, wie Sie ihre Rechte in Anspruch nehmen wollen. Es besteht die Möglichkeit vor Gericht zu gehen. Wenn sie eine Million Euro Kompensation, eine bindende Entscheidung oder einen Vertrag einklagen wollen, dann gehen Sie vor Gericht.

In vielen Fällen empfinden die Bürger etwas als Ärgernis oder als Beleidigung und sie wollen keine finanzielle Kompensation, sondern eine moralische. In diesen Fällen reicht oft eine Entschuldigung. Der Ombudsmann hat außerdem den Vorteil, dass eine Beschwerde die Bürger absolut nichts kostet. Ein Gang vor Gericht kann Kosten verursachen. Wir kommen außerdem schneller zu einer Entscheidung, als ein Gericht. Wir versuchen - wenn möglich - einen Kompromiss zu finden. Vor Gericht gibt es immer einen Sieger und einen Verlierer.

Es gibt also Vorteile des Ombudsmanns, die ich aufrecht erhalten möchte. Deswegen wünsche ich mir nicht, mehr Macht zu haben.  (derStandard.at, 20.1.2009)