Bei der parlamentarischen Enquete zur Verteilungsgerechtigkeit waren nicht nur die beiden Großparteien SPÖ und ÖVP gespaltener Meinung (siehe: Transferkonto bleibt Zankapfel der Koalition). Auch Experten und Fachleute können sich nicht darüber einigen, ob manche zuviel holen und andere zuviel geben. Sie urteilten, wie es gemäß ihrer politischen Nähe zu erwarten war. Ablehnung zum Transferkonto kam von den Fachleuten der Arbeiterkammer sowie von der SPÖ nahe stehenden Wirtschaftsforschern wie Alois Guger. Auf der anderen Seite bemühten sich von der ÖVP gerne aufgebotene Experten wie der Arbeitsrechtler Wolfgang Mazal oder der Finanzwissenschaftler Franz Prettenthaler, die Vorteile solch eines Modells darzulegen.

Alois Guger vom Wirtschaftsforschungsinstitut (WIFO) ist auf der Seite des Sozialministers Rudolf Hundstorfer, der sagt, man solle beim Informationensammeln eher beim Vermögen ansetzen. Arbeit und Einkommen seien hoch genug besteuert. Guger sieht eine relativ hohe Transparenz bei unselbständigen Haushalten und Transfereinkommensbeziehern, hingegen aber eine hohe Intransparenz, was die selbständigen Einkommen und die Vermögensbezüge betrifft. Zugenommen habe auch die Ungleichheit zwischen den Lohneinkommen. Während Spitzeneinkommen zuletzt deutlich stiegen, hätten die unteren neunzig Prozent der Einkommensbezieher Anteile am Gesamteinkommen verloren.

"Armuts- und Anreizfallen"

Einen großen Unterschied in der Besteuerung sieht auch Markus Marterbauer vom WIFO: "Arbeit ist in Österreich hoch besteuert, Vermögenserträge dagegen wenig." Zusatzeinkommen wie Aktiengewinne werden überhaupt nicht besteuert.

Markus Beyrer von der Industriellenvereinigung sieht Ungerechtigkeiten im Steuersystem: "Die Erfahrung zeigt uns, je stärker in einem Land umverteilt wird, desto geringer ist oft die Zufriedenheit der Begünstigten mit dem Ergebnis dieser Umverteilung. Sicher ist nur, dass die Staatsausgaben nachhaltig finanziert werden müssen und hier wird selten danach gefragt, ob es fair ist, dass eine Mehrheit höhere Ausgaben wünscht und damit die Minderheit der Leistungsträger zur Zahlung verpflichtet."

Für ein Transferkonto spricht sich hingegen Franz Prettenthaler von der Uni Graz aus. "Wir haben ein unkoordiniertes Nebeneinander von Transfers von Gemeinde-, Landes- und Bundesebene. Wenn diese kumulieren gibt es keine gegenseitige Anrechnung und entsprechende Besteuerung." Außerdem problematisierte Prettenthaler eine unterschiedlich hohe Besteuerung gleicher ökonomischer Einkommen. Konkret erläuterte er so genannte "Schwellenphänome": Infolge von Einkommensgrenzen bei Sozialtransfers könne das verfügbare Einkommen trotz steigender Leistung und steigenden Bruttolohns gleichbleiben oder sogar sinken. Daraus resultierten "Armuts- und Anreizfallen."

"Mehr Treffsicherheit, Fairness und Transparenz"

Arbeitsrechtler Wolfgang Mazal zog einen etwas überraschenden Vergleich: "Das Transferkonto ist wie ein Küchenmesser - Chance und Gefahr." Die Chance bestehe unter anderem darin, dass durch dieses Konto der Neidgesellschaft entgegengewirkt werde. Denn der Sozialstaat sei gefährdet, wenn keine Transparenz bestehe. Einblick haben dürften allerdings nur die Bürger selbst und ausgewählte Behörden. Der Wirtschaftsforscher Gerhard Lehner befürwortete das Transferkonto insofern, als zwar Bund und Länder über ihre jeweiligen Leistungen Bescheid wüssten, die Zusammenschau dieser Daten aber unvollkommen sei.

Ebenfalls für ein Transferkonto ist die Generalsekretärin der Wirtschaftskammer Österreich (WKÖ), Anna Maria Hochhauser. Sie betonte in ihrer Rede im Parlament: "Wer den Sozialstaat bewahren will, muss ihn fit für die Zukunft machen." Das Transferkonto sei hierzu das richtige Mittel. Zudem sei das breite Angebot von Sozialtransfers auf Bundes-, Landes- oder Gemeindeebene sowie von Sozialversicherungsträgern oder AMS fallweise wenig treffsicher und führe zu Ungerechtigkeiten in Form von Überförderung. Gefordert seien "mehr Treffsicherheit, Fairness und Transparenz", so die WKÖ-Generalsekretärin.

Wirtschaftsbund-Generalsekretär Peter Haubner macht sich anlässlich der parlamentarischen Enquete zur Verteilungsgerechtigkeit für die Einführung des Transferkontos stark: "Die Politik muss einen Interessensausgleich schaffen zwischen jenen die geben und jenen die nehmen. Dies muss unter der Prämisse geschehen, dass nur das verteilt werden kann, was vorher erwirtschaftet wurde." Haubner weiter: "Verteilungsgerechtigkeit kann daher nur vor dem Hintergrund der Leistungsgerechtigkeit diskutiert werden." (red, derStandard.at, 20.1.2010)