Agent provocateur: Yoav Shamir

Foto: Thimmfilm

Wien - Werden Juden heute noch mit Hass verfolgt? "No way - Juden kontrollieren die Welt!" Mit dieser trefflichen Ironie beginnt "Defamation" und katapultiert sich auch gleich mitten hinein in die filmische Suche nach den zeitgenössischen Manifestationen des Antisemitismus.

"Defamation/Hashmatsa", eine israelisch-österreichische Koproduktion, setzt eine Serie von Filmen fort, in denen der 39-jährige israelische Regisseur Yoav Shamir die Gegenwart seines Landes befragt. Unter anderem begleitete er junge Armee-Abrüster beim organisierten Ausflippen ("Flipping Out", 2008) oder den Alltag an den "Checkpoints" (2003). In "Defamation" will Shamir in Israel, bei der Reise einer israelischen Schulklasse nach Auschwitz oder bei der Anti-Defamation-League in New York herausfinden, ob und wie Juden Antisemitismus ausgesetzt sind.

Shamir geht das Thema zunächst in der Tradition der dokumentarischen "muckracker" wie Michael Moore oder Nick Broomfield an: Er sucht als persönlich Betroffener mit Filmteam "Experten" auf, stellt ihnen vermeintlich naive Fragen und fördert auf diese Weise recht schnell Widersprüche (und mitunter komischen Mehrwert) zu Tage.

Strategiewechsel

Mit der Zeit verändert sich diese Strategie allerdings. Der Tonfall wird ernster. Shamirs Ausgangsposition als augenzwinkernder, somit ein bisschen distanzierter Agent provocateur lässt sich in der Auseinandersetzung mit den unterschiedlichsten Situationen und Gesprächspartnern auf Dauer offensichtlich nicht halten. Dass "Defamation" ein persönlicher Film ist, wie Shamir in Interviews betont, zeigt sich auch darin.

Die Paradoxien, die der Filmemacher im Umfeld des Themas weiterhin zutage fördert, werden aber nicht weniger eindringlich: Etwa wenn drei alte Männlein in Polen israelische Schulmädchen wohlmeinend adressieren, diese zwar kein Wort verstehen, sich aber angegriffen fühlen, und die Episode nach dem Stille-Post-Prinzip ein irritierendes Eigenleben bekommt.

Es geht schließlich weniger um Antisemitismus als solchen, sondern mehr um die unterschiedlichsten Interessen, die Shamirs Gesprächspartner jeweils zu wahren suchen. Shamirs Unbehagen - und darüber sollten sich Relativisten und Revisionisten aller Länder klar sein - gilt einer Instrumentalisierung von Geschichte und Erfahrung und sein Film sicher nicht deren Verabschiedung. (Isabella Reicher / DER STANDARD, Print-Ausgabe, 21.1.2010)