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Aus den ersten, berauschenden Glücksstunden einer venezianischen Ehe, die sehr bald scheitern wird: Desdemona (Katharina Lorenz) und ihr Feldherr Othello (Joachim Meyerhoff)

Foto: Schlager/APA

Cassio: Othellos treuer Feldleutnant wird zum Spielstein in Jagos intriganter Schachpartie: Wegen eines besoffenen Raufhandels auf Zypern in Ungnade gefallen, soll ausgerechnet Desdemona bei ihrem Mann, dem "Mohren" , für ihn gutstehen. Jago bewirkt, dass ihn Othello für Desdemonas Buhlen hält. Großes Zähneknirschen beim schwarzen Mann: Offenbar ist Cassio ein Schönling, dessen erotischer Anwert ihn aussticht.

Desdemona: Brabantios Tochter (im Akademietheater: Katharina Lorenz) ist eine der denkwürdigsten Frauengestalten Shakespeares: Sie hängt an Othellos Erzählerlippen - und verliebt sich prompt in den bärbeißigen Haudegen. Ihre Liebe kommt sie teuer zu stehen: Obwohl sie ihren frischgebackenen Mann treusorgend nach Zypern begleitet, ergießen sich Kübel Unrats über sie. Jago unterstellt ihr ehehygienische Defizite. Othello erwürgt daraufhin das holde Geschöpf. Ihr letztes Wort: Sie bittet um Aufschub der Ermeuchelung, weil sie ihre reine Seele Gott empfehlen will.

Emilia: Jagos Ehefrau ist Desdemonas Kammerzofe: Ihr wird zwar ein unsittlicher Lebenswandel nachgesagt, doch sie punktet als Desdemonas Fürsprecherin. Über die Männer macht sie sich keine Illusionen: "Sie schlingen uns hinab, und sind sie satt, / Spein sie uns aus."

Impotenz: Othello kann selbst nicht recht verstehen, warum die adelige Desdemona ausgerechnet ihn zu ihrem Bettschatz erkoren hat: Er ist grob und unbeweglich, punktet aber im Salongespräch mit der herzzerreißenden Schilderung seiner harten Jugend. Shakespeare denkt die Sache weiter: Eine heroische Seele lebt in nagender Angst vor ihrer sexuellen Minderwertigkeit. Darum muss Othello glauben, was ihm Jago einbläst: dass sich das Frauchen, sobald er außer Hause weilt, mit dem Leutnant Cassio vergnügt. Othello ist ein Masochist; Jago aber ist der Agent des Teufels.

Jago: Es bleibt einigermaßen rätselhaft, welche Antriebskräfte den als untadelig beschriebenen Fähnrich Jago die mörderische Intrige gegen seinen Feldherrn Othello ersinnen lassen. Gewiss: Othello hat nicht ihn, sondern den Cassio zu seinem Leutnant gemacht. Jago deutet im Ersten Akt an, dass der verhasste "Mohr" seiner Frau Emilia beigewohnt haben könnte. Mit Blick auf den hölzernen Gastarbeiter eine höchst zweifelhafte Bemerkung: Othello dürfte ja nicht einmal die Ehe mit Desdemona vollzogen haben!

Jago, der Ränkeschmied (im Akademietheater: Edgar Selge), ist ein bekennender Nihilist: Die Zurücksetzung durch Othello legt in ihm ungeahnte kriminelle Energien frei. In diesem Satan schwingen andere Bösewichter nach: Marlowes Barabas (Der Jude von Malta) zum Beispiel. Zugleich erkennt man in ihm bereits die Vorwegnahme von Miltons Satan, der Gott die Gefolgschaft aufkündigt. Ein Mensch, der nur den Krieg als Sphäre kennt, überträgt seine Willenskraft auf private Verhältnisse. Jago, der Othellos Glauben an Desdemonas Treue erschüttert, ist der moderne Ästhet, der aus der Manipulation seiner Mitmenschen den Genuss der Selbstüberhöhung zieht. Jago ist kein Narr oder Schelm, sondern ein Gott-ist-tot-Theologe: Wenn der Himmel einstürzt, schlägt die Stunde der klugen Ratten.

"Mohr" : Synonym für einen Mann, den man ob seiner Tüchtigkeit achtet, den man aber seine "rassische Minderwertigkeit" deutlich spüren lässt. Ein Militärdienstleister nagt an seinem Minderwertigkeitskomplex: Er liebt Desdemonas Liebe zu ihm - nicht etwa sie in Person. Das Schicksal eines Ausgebeuteten: Er hat es verabsäumt, sich in Liebesdingen kundig zu machen. Steht im überfeinerten Venedig, wo man Macchiavelli liest und sich zum formvollendeten "Höfling" ausbildet, auf verlorenem Posten.

Othello: Ein biederer Feldhauptmann (im Akademietheater: Joachim Meyerhoff) muss im dekadenten Venedig die Erfahrung machen, dass alle militärischen Verdienste nichts gelten, sobald es um die gelingende Integration eines "Farbigen" in die Gesellschaft geht. Die Hand Desdemonas wird ihm eher widerwillig gewährt; man schildert ihn als "hässlich" . Er verfolgt als erprobter Feldherr die Politik des Nachruhms: An Desdemonas Untreue wäre wohl das Urteil der Mitmenschen für ihn am schwersten erträglich. Er fürchtet die Hörner des Hahnreis - also kribbelt ihm die Stirn.

Rodrigo: Geschniegelter Laffe, der sich von Jago zum Anwerter auf Desdemonas Gunst erklären lässt. So viel Dummheit wird grausam bestraft: Cassio ersticht ihn in der Gosse auf Zypern.

Schuhpaste: Mit ihr pflegte man öfter die deutschsprachigen Othellos einzuschwärzen (etwa Ulrich Wildgruber in einer berühmten Inszenierung Peter Zadeks): Nichts ist sinnfälliger als ein Klischee, das auch noch abfärbt.

Shakespeare: Unumstrittenes Genie (1564-1616) mit unklarer, oftmals bezweifelter Biografie. Hatte zum Zeitpunkt der Abfassung von Othello (1602-1604) seine Schauspielerkarriere höchstwahrscheinlich an den Nagel gehängt.

Taschentuch: An einem gewöhnlichen Rotztuch aus Desdemonas Besitz hängt Jago seine Intrige auf: Er lässt Othellos Liebespfand von seiner Frau Emilia entwenden, um das bestickte Kleinod dem Leutnant Cassio unterzujubeln. Othello glaubt sofort an erotischen Hochverrat. Das Schnäuztuch beschreibt er wenig einladend: "Geweihte Würmer" hätten es gesponnen, geschwenkt wurde das Textil in "Mumiensaft" . Hatschi!
(Ronald Pohl / DER STANDARD, Print-Ausgabe, 22.1.2010)