Natürlich hat Katharina Wagner Bayreuth immer im Gepäck.Weil sie Wagner heißt, eine der beiden Festspielleiterinnen ist und bisher (abgesehen von den zwei Ausnahmen Waffenschmied und Il Trittico) vor allem in der Auseinandersetzung mit den Werken ihres Urgroßvaters Regisseurinnenmut hat. Diesmal holte sie etwas ganz Menschliches ein: Sie verzichtete auf den Auftritt vor dem Schlussvorhang ihrer Mainzer Butterfly-Inszenierung, um daheim in Bayreuth dem plötzlich an einer Lungenentzündung erkrankten 90-jährigen Vater Wolfgang Wagner nahe zu sein. Indessen hielt sich das Kontra wie auch das Pro, das ihr Team stellvertretend entgegennahm, in Grenzen.

Mit ihrem Zugriff auf die Werke ihres Ahnen regte sie bisher mehr an und auf als mit Puccini. Dabei entwickelt sie auch hier ambitionierten Deutungsehrgeiz, in dessen Dienst sie eine teilweise schrille Bebilderung stellt. Sie zeigt überdeutlich, dass es bei der "Kurzzeitehe" zwischen Pinkerton und Cio-Cio Sun eigentlich um käuflichen Sex geht, was allen klar ist - außer Butterfly. Spielmacher Goro, der hier wie ein korrumpierter orientalischer Harlekin permanent die Fäden zieht, präsentiert den biederen Anzugträgern Pinkerton (Sergio Blazquez) und Sharpless (Patrick Pobeschin) alle erdenklichen Objekte sexueller Begierde: Von Lolita über Lack-und-Leder-Busenwunder, Military und Sadomaso bis zu Matrosen, schrill und bunt.

Da fällt die verschleierte Schüchterne so aus dem Rahmen, dass sich Pinkerton für sie entscheidet. Die Begegnung zwischen ihnen ist von Anfang an ein Missverständnis. Wenn sie auf Pinkertons Rückkehr wartet, richtet sie sich hier nicht am Kind, sondern an Schlagworten wie Love, Hope oder Trust auf, die sie an die Wände ihrer abstrakt angedeuteten Behausung schreibt und die dort von selbst wieder zerlaufen. Ein erstaunlich statisches Ausharren im Wechselspiel mit einer überstrapazierten Schachtel- und Tüchermetaphorik unterläuft das Kammerspiel der Selbsttäuschung, der Hintergrund fängt diese Leerstellen zum Teil wieder auf - wenn auch nur assoziativ.

Offene Räume mit Neonröhren, fast leer, ein paar Lampions hier, ein Maschendrahtrest da: eine urbane Installation, die von einer Welt erzählt, die auf den Kopf gestellt wird, aber auch von zerstörten Bindungen. Durch dieses Raumlabyrinth geistert immer wieder ein Mann, der Pinkertons Alter Ego sein könnte, vielleicht aber auch eine vorweggenommene Vision vom Sohn Butterflys. So klar ist das alles nicht.

Dorthin aber und damit zum triumphierenden Goro wendet Butterfly am Ende ihren Blick. Immerhin arbeitet Katharina Wagner mit ihrer Stilisierung konsequent gegen die folkloristisch sentimentale Abrutschgefahr dieser Oper. Im Graben freilich führt Catherine Rückwardt ihr Orchester in die entgegengesetzte Richtung und lässt dabei im dick aufgetragenen cineastischen Schmäh sogar ihre wohlklingende Butterfly Abbie Furmansky auch schon mal fast untergehen. (Joachim Lange aus Mainz / DER STANDARD, Print-Ausgabe, 22.1.2010)