Genf/Neu-Delhi - Ein 2007 veröffentlichter Bericht des Weltklimarats IPCC stellte die düstere Prognose an, dass die Gletscher des Himalaya sich sehr schnell zurückziehen und "die Wahrscheinlichkeit sehr hoch (ist), dass sie im Jahr 2035 verschwunden sind, wenn die Erde sich mit der gegenwärtigen Rate erwärmt".

Mit diesem Satz, der mittendrin im mehr als 2000 Seiten umfassenden Report steht, hat sich der Rat ein großes Problem eingebrockt. Denn auch wenig versierten Kennern der Verhältnisse dürfte klar sein, dass die riesigen Gletscher des Gebirgsmassivs nicht in 25 Jahren einfach weg sein werden, selbst wenn sich die Erde noch schneller erwärmen sollte.

Nun haben die Forscher des IPCC reagiert. In einer Aussendung bezeichnen sie die Schätzungen als "wenig fundiert" und räumen ein, dass die Jahreszahl und die mit ihr verbundene Schätzung nicht der eigentlich üblichen Überprüfung unterzogen worden seien. Sie versuchen damit, wiedergutzumachen, was sie in den Augen ihrer Kritiker an Glaubwürdigkeit schon lange verloren haben.

Wie es zu der Behauptung und ihrer Veröffentlichung kam, stellt sich als Verkettung misslicher Umstände und Nachlässigkeit heraus. Die Angaben beruhten nicht auf von Fachkollegen überprüften ("peer-reviewed") Studien, sondern auf einem Bericht des World Wide Fund for Nature (WWF), der seinerseits das englische Wissenschaftsmagazin New Scientist zitierte.

Das Magazin wiederum gab die Aussage eines indischen Forschers aus dem Jahr 1999 wieder, der über die Himalaya-Gletscher arbeitete und der nach eigenen Angaben überhaupt keine Jahreszahl genannt haben soll.

Voneinander abschreiben 

Es kommt noch bunter: Die Süddeutsche Zeitung zitiert dazu den IPCC-Autor Peter Lemke, dem zufolge ein russischer Wissenschafter geschätzt haben soll, die Gletscher könnten im Jahre 2350 verschwunden sein. "Womöglich passierte dann irgendwo ein Zahlendreher", und aus 2350 wurde 2035. Ein kanadischer Kollege machte im vergangenen Dezember auf diese mögliche Verdrehung aufmerksam.

Der Innsbrucker Glaziologe Georg Kaser hatte sogar schon bei der Drucklegung des IPCC-Berichts vor zweieinhalb Jahren auf die unglaubwürdige Vorhersage hingewiesen, doch seine Warnung blieb unbeachtet.

Erst ein naturwissenschaftlicher Blog brachte, zum Zeitpunkt des Kopenhagener Klimagipfels, den Stein des Zweifels ins Rollen. Er führte zu einem ersten großen Bericht der BBC im Dezember. Mittlerweile wird von grober Fahrlässigkeit und Schlamperei geschrieben.

Es habe sich gezeigt, dass einer vom anderen abschreibt, bis das Ergebnis als wissenschaftliche Tatsache festgemauert ist. Viele Klimaskeptiker sehen sich in ihrer Haltung bestätigt: Wenn solche Schwarzmalerei sich als dünnste Suppe herausstellt, was finden sich noch für Fehler im IPCC-Wälzer?

Insgesamt also ein ziemlicher Scherbenhaufen, den der Weltklimarat nun aufzukehren hat. Nach langer Pause gab die Genfer Zentrale den Fehler zu. Die Regeln der wissenschaftlichen Überprüfung seien "nur schlecht angewendet" worden.

Die scheinbare Erkenntnis über bald verschwundenes Himalaya-Eis floss nicht in die zentralen Aussagen des IPCC-Berichts ein. Diese gelten immerhin als weithin unumstritten, man kann davon ausgehen, dass sie von Gegnern der Erwärmungshypothese genau durchforstet worden sind. (Die Details des Berichts dürften sie allerdings weniger genau gelesen haben: Wie die FAZ hinweist, ist ihnen die ominöse Jahreszahl 2035 mehr als zwei Jahre lang entgangen.)

Das Zögern des Klimarats, an die Öffentlichkeit zu gehen, ist als Furcht vor solcher Gegnerschaft zu sehen. Zu seiner Verteidigung ist zu sagen, dass bei dichten Forschungsberichten Fehler fast unvermeidlich sind und dass es zu den Tugenden offener Wissenschaft gehört, Irrtümer und Schlampereien einzugestehen. (APA, mf, DER STANDARD, Print-Ausgabe, 22. Jänner 2010)