Eine Säule der Produktion: Juanita Lascarro als Poppea.

Foto: Th. an der Wien

Wien - Eine ziemlich mörderische Gesellschaft steht da auf der diskret mit roten Vorhängen gestalteten Bühne: Es geht zwar an der Oberfläche von Claudio Monteverdis L'incoronazione di Poppea vor allem um Anbahnung und Erhalt von diversen Zweisamkeiten. Aus der Wahl der Mittel, mit denen das Liebesziel erreicht wird, ist jedoch unschwer zu erkennen: Die ach so zarten Liebesbande werden nur geknüpft oder gehalten, um in der Machthierarchie aufzusteigen oder einen erreichten Status zu verteidigen.

In einem solchen Milieu der Intrigen, Morde, Desavouierungen und Erpressungen wirkt dann just ein Typ wie der monströse Nerone (Jacek Laszczkowski hat große Mühe mit der Partie) unstrategisch, spontan und einfach triebgesteuert. Er ist ein emotionaler Extremist, der in Gefühlsexzessen den ultimativen Kick findet. Wird er ein bisschen zornig, müssen alle durch Flachliegen Unterwürfigkeit demonstrieren. Ist ihm zum Feiern zumute, kann mittendrin ein Mord stattfinden, falls es Nerone überkommt.

In der Inszenierung von Robert Carsen (es handelt sich um die Neueinstudierung einer Version des Glyndebourne Festivals) wirkt Nerone denn auch in jenen Momenten, da er mit seiner Poppea das Bett teilt, nicht durchgehend zutraulich und romantisch. Auch gegen sie kann er die Hand heben. Ein unberechenbarer Soziopath am Rande des Kontrollverlustes.

Am Ende, da Poppea, an sich die ganze Oper im Negligee, nun als gekröntes Wesen an Nerones Seite selig sein müsste, ist von Glücksgefühl nichts zu bemerken. Eingehüllt in jenes rote Tuch, das Amore (solide Trine Wilsberg Lund) ausgebreitet hat, scheinen sie Zweifel zu befallen. Auch sie hat ja Seneca (sehr kultivierte Vokalarbeit: David Pittsinger) durch eine Intrige in den Selbstmord getrieben und ahnt wohl, dass auch ihre Zukunft ungewiss bleibt.

Carsen stellt die Figuren in den Mittelpunkt, indem er auf leere Räume setzt. Da ein Tisch, dort eine Badewanne, dann ein Bett; der Rest ist eine durch rote Vorhänge unterschiedlich geformte Theaterarchitektur (Bühnenbild: Michael Levine). Routiniert bezieht er auch den Zuschauerraum mit ein: Zu Beginn streiten sich Fortuna (Ruby Hughes) und Virtu (Renate Arends) um einen Sitzplatz in der ersten Reihe. Im Grunde jedoch bringt er hier eine moderne Gesellschaft ohne Verspieltheit solide und ohne Drastik dazu, ihre Affekte auszuleben.

Anna Bonitatibus (als Ottavia) tut es auf prägnante Art und Weise; solide wirken Lawrence Zazzo (als Ottone), Ingela Bohlin (als Drusilla), Marcel Beekman (als Arnalta) und Andrew Watts (als Nutrice). Souverän aber wirkt vor allem Juanita Lascarro. Als Poppea trägt sie den Abend vor allem vokal und lässt vergessen, dass da manch kleine Partie stimmlich an Grenzen gerät. Jederzeit elastisch und delikat die instrumentale Umgarnung durch das Balthasar-Neumann-Ensemble unter dem für Geschmeidigkeit und zierliche Klangschwebe sorgenden Christopher Moulds. (Ljubiša Tošić, DER STANDARD/Printausgabe, 23./24.01.2010)