Mailand - Die größte Veränderung der Modeschauen für kommenden Herbst und Winter kriegen viele Besucher gar nicht mit. Am Rande der Laufstege ist eine Armada von Kameras aufgebaut, draußen auf der Straße stehen Übertragungswagen. "Livestreaming" ist das Zauberwort der Saison. Von Armani über Burberry bis zu Prada können Interessierte zu Hause an den Computern die Modeschauen live verfolgen.
Diese stehen gemeinhin nur einem kleinen Kreis von Journalisten und Einkäufern offen. Mithilfe der neuen Medien wird die Anzahl der Zuschauer potenziert. Dass dies just in einer Saison passiert, die eine größere Trendumkehr markiert, dürfte kein Zufall sein. Im rauen wirtschaftlichen Klima - 2009 sank der Umsatz der italienischen Modeunternehmen um 9,7 Prozent -, gehen die meisten Designer auf Nummer sicher. In den Zirkus der Männermode ist Ruhe eingekehrt. Die Kollektionen geben sich leiser, die Designer setzen auf Bewährtes. Dolce & Gabbana etwa zeigt wieder einmal eine Sizilien-Kollektion.
Her mit der Reitgerte!
Am deutlichsten ist der Rollback aber bei Gucci zu sehen. Das florentinische Luxushaus setzte in den vergangenen Saisonen auf milchgesichtige Gitarrendandys. Die Milchgesichter sind geblieben, nur tragen sie mittlerweile Kamelhaarmantel zu Gucci-Loafers aus Straußenleder. In ihrer Freizeit dürften diese Jungs nicht mehr in Rockclubs, sondern am Pferderennplatz rumhängen. Auch bei Gucci arbeitet man sich an der Reitermode ab. Wie Jodpuhrs schließen die Hosen mit einem Knopf am Knöchel.
Ohne die eigenen Klassiker (in zahmen Neuinterpretationen) wagt sich kein Modehaus auf den Laufsteg. Am geschicktesten tut das Christopher Bailey bei Burberry an. Was für Gucci der Reitstall, ist hier das Militär. Goldene Epauletten zieren die Strickpullis, goldene Knöpfe Trenchs. In der Stilschlacht ist der Burberry-Soldateska mit ihren Lammlederjacken mit den riesigen doppelten Krägen der Sieg sicher.
Das Wörter "klassisch" und "zeitlos" sind in Mailand besonders häufig zu hören. Kollektionen, die einen dezidiert modischen Anstrich haben wie jene von Z Zegna ( Doppelreiher zu engen Lederhosen) oder Vivienne Westwood (Clochards) sind selten. Selbst bei Jil Sander, wo Raf Simons jede Saison neue ästhetische Impulse setzt, sind die gewöhnungsbedürftigen taschengroßen Applikationen auf den Blazern und Kabans abnehmbar. Und es bleibt eine schön geformte Silhouette mit höher gesetzter Taille.
Dandylook ist gut fürs Auge
Ein guter Gradmesser für die Stimmung in dieser Saison ist die Kollektion von Etro. Der flambo-yante, auf Muster und Farben setzende Stil des italienischen Traditionshauses wurde von einem eleganten, mit Blau- und Brauntönen spielenden Dandylook abgelöst. Das tut dem Auge gut.
Miuccia Prada ließ sich von den eigenen psychedelischen Prints der 1990er-Jahre inspirieren. A-Linien-Mäntel und Schrumpfpullli zu Brogues mit Riesenzungen geben der Kollektion einen comichaften Charakter. Dafür wurde ihr frenetisch applaudiert. Nur im Internet, da gehen die Meinungen auseinander. Die neuen Geschmacksrichter sitzen daheim vor den Bildschirmen. Auf sie wird man in Zukunft hören müssen. (hil/DER STANDARD, Printausgabe, 23./24. 2010)