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Ringelreihen in Linz vor der Hauptrunde in Wien. Österreichs Handballer schrieben mit dem Aufstieg Sportgeschichte.

Foto: APA/Gindl

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Österreichs Trainer Dagur Sigurdsson hat drei weitere Spiele und viel mehr Videos vor sich.

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Linz/Wien - "Kein Traum" , sagt Thomas Bauer, der Torhüter. "Das Erreichen der Hauptrunde war ein Ziel. Kein Traum." Demgemäß haben Österreichs Handballer keinen Traum realisiert, sondern ein Ziel erreicht. Aus Linz ist Wien geworden, schon heute, Montag, setzt sich die Heim-EM fort. Erster Gegner in der Stadthalle sind die Norweger, denen die Kroaten (Dienstag) und die Russen (Donnerstag) folgen werden, die Beginnzeit (18 Uhr) hat der ORF bestimmt. Zu drei Spielen kommen also drei Spiele hinzu. "Unser Ziel in jedem dieser Spiele sind zwei Punkte" , sagt freilich Österreichs Teamkapitän Viktor Szilagyi. "Und wenn wir in jedem Spiel unser Ziel erreichen, können wir im Halbfinale stehen."

Das wäre dann ein viertes weiteres Spiel, und es ist natürlich extrem unwahrscheinlich, dass es dazu kommt. Andererseits sind Szilagyis Worte bezeichnend, sie stehen für die Einstellung, mit der die Handballer in diese EM gezogen sind, die Einstellung, mit der sie letztlich souverän die Vorrunde überstanden, eine der größeren Überraschungen der österreichischen Sportgeschichte lieferten. Dem Remis gegen Island hatten die Österreicher am Samstagabend ein 37:31 (15:18) gegen Serbien folgen lassen, und wer vom End- den Pausenstand subtrahiert, der kommt auf jenes 22:13, mit dem Österreich nach Seitenwechsel aufgegeigt hat.

Es war eine Hälfte wie aus einem Guss. Und es war das Spiel von Thomas Bauer, dem Jüngsten im Team, gestern wurde er 24 Jahre alt. Von Ersatztorhütern ist im Handball sowieso selten die Rede, Bauer hat sogar die Nummer 1 auf seinem Leiberl stehen, war aber als vermeintliche Nummer 2 hinter Nikola Marinovic ins Turnier gegangen. Jenem Marinovic, der gegen seine ehemaligen Landsleute nach 16 Minuten und dreißig Sekunden beim Stand von 7:11 seinen Platz räumte. Bauer hielt hernach sieben Bälle in Serie, auf dass die Österreicher erstmals zum Ausgleich kamen (11:11) und Selbstvertrauen gewannen. Bauer spielte wie in Trance, zog die Bälle förmlich an, brachte die Serben zur Verzweiflung. Am Ende hatte er von 32 serbischen Würfen zwölf pariert, ergibt eine Weltklassequote von 37,5 Prozent.

Die optimale Vorbereitung

Noch am Vorabend hatte sich Bauer, wie er sagt, "Wurf-Clips reingezogen" , kurze, von den Betreuern zusammengestellte Videos mit diversen Würfen sämtlicher Gegenspieler. "Dreizehn Clips insgesamt." Frage: Aber kommt der Wurf nicht so schnell, dass der Goalie nur noch reflexartig reagieren und nicht mehr überlegen kann? Bauer: "Schon. Aber zum Beispiel hab ich gewusst, dass der linke Flügel der Serben zwei Lieblingswürfe hat. Und durch mein Stellungsspiel hab ich ihn immer genau zu einem dieser Würfe eingeladen. Und auf den Wurf war ich dann vorbereitet." Ivan Nikcevic hieß der arme Mann, fünfmal versuchte er sein Glück, fünfmal scheiterte er. Pars pro toto. Momir Ilic, der serbische Superstar vom deutschen Superklub THW Kiel, zog zehnmal ab, um bloß viermal zu treffen. Er wurde über weite Phasen von Vytas Ziura per Manndeckung aus dem Spiel genommen.

Und die Österreicher spielten sich in einen Rausch. Allen voran Szilagyi, nicht nur bester Torschütze mit neun Goals, sondern auch Spielmacher, quasi das Herz und das Hirn der Truppe. "Jeder erfüllt seine Aufgabe" , sagt er, "wir verlieren als Mannschaft, und wir gewinnen als Mannschaft." Wie jeder seiner Kollegen hebt er allerdings die Rolle von Teamchef Dagur Sigurdsson hervor, der das Team tatsächlich auf alle drei Vorrundengegner blendend eingestellt hatte. Als Vorbereitung auf die Serben, sagt Sigurdsson, habe er sich acht serbische Spiele auf Video angesehen, einige mehrmals. Frage: Acht Videos werden sich vor dem Norwegen-Spiel wohl nicht ausgehen? Sigurdsson: "Doch."

Szilagyi sagt, er freue sich auf die Atmosphäre in der Hauptrunde und in der Wiener Stadthalle. "Aber wir sind Sportler. Wir wollen nicht nur die Atmosphäre genießen, wir wollen etwas erreichen. Und wir werden um jeden Zentimeter kämpfen."

Herr Professor Schuster

Bauer hofft schlicht auf weitere EM-Einsätze. Er steht in der zweiten deutschen Bundesliga bei TV Korschenbroich (liegt bei Düsseldorf) unter Vertrag, früher spielte er bei Margareten, noch früher besuchte er in Baden das Gymnasium, dort war Klaus Schuster, viel früher ebenfalls Handball-Teamtorhüter, sein Klassenvorstand. Schuster war es, der Bauer zum Handball brachte, und am Vorabend der Serbien-Partie hat er angerufen, Glück gewünscht. "Ich bin sicher, dass du deine Chance kriegen wirst. Und du wirst sie nützen" , hat Schuster gesagt.

Wenn er träumt, träumt Thomas Bauer nicht davon, eine Hauptrunde zu erreichen. Vom Olympiasieg, sagt er, könne man träumen. Nur zum Beispiel. (Fritz Neumann, DER STANDARD Printausgabe 25.01.2009)